Albanien

15.11. - 24.11.12

Statistik Albanien

  1. 10 Tage im Land
  2. 5 Nächte in Hotel
  3. Keine Nächte bei Privat
  4. 5 Nächte im Zelt
  5. 8 Tage im Sattel
  6. 353 km / 6278 hm
  7. Keine Pannen

Hetzjagd

Es ist Freitag, die grossen Festivitäten zur 100-Jahr-Feier Albaniens stehen vor der Tür. Von überall her strömen uns festlich gekleidete Menschen entgegen. Kinder schwingen die Nationalflagge und rufen “Albania, Albania!”, Jugendliche stehen in rote Albanienflaggen gewickelt am Strassenrand. Von links singt uns der Muezzin entgegen, von rechts ertönt laute Technomusik. Die groteske Situation lässt mich schmunzeln. Welcher Gegensatz! Bald aber vergeht mir das Lachen. Die Strasse wird immer steiler, bei durchschnittlich 12% Steigung kämpfen wir uns mit den vollbeladenen Rädern den Berg hoch. Wir haben für mehrere Tage Wasser und Lebensmittel dabei und spüren die zusätzlichen Kilos. Ein kräftiger, kalter Wind bläst uns entgegen. Die Jugendlichen sind übermütig, auf der Suche nach einem Ventil für die überschäumenden Hormone. Als ich im Schneckentempo den Berg hinauf krieche kommt ein Schnösel dicht zu mir hin und streicht mir über die Wange. Ich bleibe stehen und schreie ihn an, Marcel dreht um und weist ihn zurecht. Das passt ihm und seinem Freund gar nicht. Sie zücken das Handy, tun so als würden sie Verstärkung anfordern. Wir lassen die beiden zurück und kämpfen uns weiter den Berg hoch, gefolgt von ein paar Jungen. Die Gruppe vergrössert sich laufend auf ungefähr 15 Personen, von allen Seiten kommen immer mehr Knaben und Jugendliche dazu. Sie laufen hinter und neben uns her, schwatzen ständig auf uns ein, lachen uns aus, betteln nach Geld und Schokolade, fassen die Räder an und wollen uns zum Anhalten bewegen. Zu Fuss können sie mit unserem Tempo locker mithalten. Dass sie die Ausdauer haben uns 4km den Berg hinauf zu verfolgen, damit hätten wir aber nicht gerechnet. Es artet zu einer regelrechten Hetzjagd aus, sie stacheln sich gegenseitig an und werden immer frecher und mutiger. Immer wieder kriege ich fast keine Luft, aber anhalten und verschnaufen ist keine Option - ich will so schnell wie möglich weg von dieser Meute. Ich weiss nicht was am schlimmstem ist: die Atemnot, die Steigung, der Wind, das schwere Rad, die Verfolgung. Die Kombination ist auf alle Fälle arg zermürbend. Die Situation eskaliert, plötzlich kommt von hinten ein zweifach faustgrosser Stein geflogen und trifft Marcels hintere Packtasche. Bis jetzt versuchten wir gegen aussen alles so gut wie möglich zu ignorieren, aber das ist des Guten zuviel. Wir halten abrupt an und schreien wütend in die Menge. Nach dem ersten Schreck kommen sie wieder zu uns zurück, der Anführer wird jetzt noch aufsässiger und deuete an, mit der hölzernen Fahnenstange zuzuschlagen. Wir haben Glück, gerade rechtzeitig hält ein roter Lieferwagen. Die 3 Männern goutieren die Situation überhaupt nicht und weisen die Bengel scharf zurecht. Langsam fahren sie hinter uns her, schirmen uns ab und begleiten uns das letzte Stück bis zur lang ersehnten Abfahrt. Ich schnappe nach Luft und lasse erlöst laufen. Die Räder, die Tränen.

Das Erlebnis beschäftigt uns alle noch weit in den Tag hinein. Was würden wir oder was könnte man bei einem nächsten Mal anders machen? Was lässt man mit sich geschehen, wann greift man durch?

Als wir am späten Nachmittag in ein kleines Kaff fahren diskutieren wir, ob wir irgendwo nach einem Platz für unsere Zelte fragen sollen. Wie gerufen tritt nach genau 2222 gefahrenen Kilometern der 20-jährige Bledor aus dem Kaffee und fragt uns mittels Zeichensprache, ob wir auf der Wiese nebenan schlafen möchten. Wir schauen ihn verdutzt an und nehmen das Angebot dankend an. Ich schenke ihm und den Kindern eine Packung Kekse. Die Kleinen springen erfreut damit davon und lassen die Kartonverpackung sogleich auf die Wiese fallen. Wie die Grossen so die Kleinen, man kann es ihnen nicht verübeln. Wir verbringen lustige Stunden bei Kaffee und Raki mit Bledor, Sokol und dem Zeigewörterbuch. Ich hätte nicht gedacht, dass es bereits in Europa so intensiv zum Einsatz kommt. Die Begegnung und die Gastfreundschaft tut gut. Ein versöhnlicher Abschluss eines aufreibenden Tages.

Kommentar hinterlassen