Tiefpunkt und Wende
Drei Wochen verbrachten wir in Istanbul und durften insgesamt 8 Besucher empfangen: Marcels Jassfreunde Ivo, Tino und Ralph, Marcels Mutter Vreni, unsere Reisebekanntschaft Julius, unser Freund Stefan und zum Schluss Alenas Eltern Greta & Silvano. Damit wir möglichst viel und ungestört Zeit zusammen verbringen konnten haben wir uns in einer Wohnung von airbnb einquartiert. Die Zeit mit Familie und Freunden haben wir enorm genossen, auch wenn wir immer wieder auf die Konsulate rennen mussten, um unsere Visa für die Weiterreise zu organisieren. Istanbul ist eine faszinierende Stadt, die wir allen wärmstens empfehlen.
Nach dieser intensiven Zeit freuten wir uns aber auf etwas mehr Ruhe und Gemütlichkeit und waren gespannt auf die ländlichen Gegenden und ihre Bewohner. Unser Plan schien anfangs perfekt aufzugehen: Wir wollten den Winter in Griechenland und in Istanbul an uns vorbeiziehen lassen, um bei frühlingshaften Temperaturen weiter Richtung Osten zu reisen. Bei 25 Grad und strahlendem Sonnenschein radelten wir los, mitten durch den Morgenverkehr bis zur 5km entfernten Fährstation. Wir waren froh, uns nicht länger durch das Verkehrschaos kämpfen zu müssen. Stattdessen genossen wir von der Fähre aus einen letzten Blick auf die Kuppen und Minarette der Moscheen, die unzähligen Frachtschiffe und die imposante Bosporus-Brücke, welche seit 1973 die beiden Kontinete Europa und Asien verbindet.
Die Temperatur fiel innerhalb von 2 Tagen 20 Grad in den Keller und mit ihr unsere Stimmung. Nicht nur, weil wir vortan bei 5 Grad und Dauerregen radelten, sondern weil auch der in Istanbul neu gekaufte Sattel exakt dieselben Probleme wie die Vorgänger bereitete. Er war meine letzte Hoffnung, nachdem ich während der ganzen Reise schon verschiedene Sättel und Sattelpositionen ausprobiert habe. Aber die Schmerzen am Steissbein wollten einfach nicht verschwinden. Wären es nur die gängigen Sitzbeschwerden nach einer langen Radpause gewesen, ich hätte vor lauter Freude den ganzen Tag gejubelt. So aber kamen meine Gedanken nicht zur Ruhe. Verzweifelt suchte ich nach Lösungen und fragte mich, wie lange ich das noch aushalten werde.
Am vierten Tag, mitten im Aufstieg auf einen Pass und bei strömendem Regen hielt Marcel an und schaute mich ernst an. Ich spürte was kommt. Trotzdem war ich überrascht, als er sagte: “Das hat doch so keinen Sinn. Lass uns umkehren.” Nie haben wir die Möglichkeit des Abbruchs miteinander besprochen. Und nun nahm er den Gedanken in den Mund, der mir seit Tagen nicht mehr aus dem Kopf ging. Den ich immer wieder auf die Seite geschoben habe, ihn icht ertragen konnte. Wir standen da wie zwei begossene Pudel. Müssen wir unseren grossen Traum einfach so aufgeben? Wegen eines kleinen Knochens am Ende der Wirbelsäule?
Die Entscheidung fiel uns umso schwerer, da wir in den letzten Tagen überwältigende Gastfreundschaft erfahren haben. Unzählige Einladungen zum Çay (Tee), zum Essen, zum Übernachten. Wir wollten da nicht weg, wollten tiefer eintauchen in die wahre Kultur und Lebensweise der Türken. Vor allem konnten wir uns nicht vorstellen, die Reise ohne Fahrrad fortzusetzen. Viele Begegnungen erlebt man nur, wenn man sich ohne den Schutz von Blech und ohne Motorkraft fortbewegt. Wenn man im Auto vorbeirauscht stürmt nicht plötzlich jemand auf der Strasse auf einen zu und steckt Früchte in die Tasche. Oder Oliven, Schokopaste, Bonbons, Tomaten, Gurken. Da wird man selten von der Strasse weg zu einer Übernachtung oder zu Tee eingeladen. Man erlebt die Bevölkerung schlicht nicht so intensiv. Diese Inentsität ist genau das, was das Reisen für uns ausmacht.
Uns war aber von Anfang an klar, dass wir die Gesundheit an erste Stelle setzen müssen. Geht es nicht auf diese Weise, kehren wir um. So sassen wir genau 3 Tage nach dem Entschluss zur Wende im Flugzeug nach Zürich. Eine emotionale Zeit lag hinter, eine ungewisse Zukunft vor uns. Doch wir hatten einen Plan, und mit ihm eine grosse Portion Hoffnung.
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