China II

5.3. - 30.4.14

Statistik China II

  1. 57 Tage im Land
  2. 48 Nächte in Hotel
  3. 1 Nacht bei Privat
  4. 8 Nächte im Zelt
  5. 24 Tage im Sattel
  6. 1483 km / 19283 hm
  7. Keine Pannen

Gefühllos

Kaum haben wir die Shangri-La verlassen sind wir alleine weit und breit. Wir sehen tagelang keine Touristen, weder aus West noch aus Ost.  Es wird immer tibetischer! Die Einheimischen sind extrem neugierig und wollen wissen wo wir hin wollen. Ein Tibeter ist ganz begeistert von unserem Gefährt und will sich vorne aufs Pino setzen. Es ist mir unangenehm, ihm mit Zeichensprache klar machen zu müssen, dass dies das erlaubte Maximalgewicht von 225 Kilos übersteigen würde. Er streicht sich leicht betroffen über seine Wampe. So leid es mir tut, seine Gefühle zu verletzen, aber noch einen Rahmenbruch würden wir gerade nicht verkraften. Er scheint es uns zum Glück nicht allzu übel zu nehmen und schenkt uns zwei Flaschen Wasser.

Die wunderschöne Fahrt führt uns entlang der Grenze zu Tibet. Nur der Jiangtsekiang trennt uns vor dem für uns unzugänglichen Gebiet. Jede Brücke über den Fluss wird streng von den Chinesen überwacht. Auch sonst steht das gesamte Gebiet - auch auf unserer Seite in Sichuan - unter einer strengen Kontrolle. Immer wieder begegnen wir Polizisten auf Patrouille. Einmal werden wir von einer Truppe von 9 schwerbewaffneter Han Chinesen umzingelt. Der eine richtete eine Videokamera, ein anderer eine Spiegelreflexkamera auf uns. Immerhin sonst keines ihrer scharfen Geschütze. Trotzdem sind wir empört. Auf unsere genervte Frage, wieso sie uns filmen, beenden sie die Aufnahme. Wir müssen ihnen aber auf der Karte ganz genau zeigen, wohin wir fahren werden.

Jede Brücke, die von Sichuan nach Tibet führt, wird von den Chinesen streng bewacht

In Batang ist die Polizeipräsenz besonders hoch. Der Highway 318 nach Lhasa führt hier vorbei, 30 km weiter südlich ist der Übergang nach Tibet. Wir begegnen ständig Horden von Polizisten, ausgerüstet mit Schutzschildern, Knüppeln, Helmen und Sturmgewehren. Zudem haben sie in der ganzen Stadt das Internet lahm gelegt. Zuerst denken wir, dass unser Hotel ein Problem mit der Stromversorgung oder dem Router hat. Als wir jedoch beim lokalen Internetkaffee an die Tür klopfen, bleiben uns die Münder offen stehen. Wir blicken in eine riesige Halle voller Computer. Menschenleer. Der Betreiber versucht uns ebenfalls verständlich zu machen, dass in diesem Monat in Sachen Internet gar nichts geht. Unfassbar, was sich die paranoiden Chinesen alles einfallen lassen, um die Tibeter zu unterdrücken.

Ansonsten gefällt es uns in Batang sehr gut. Das liegt nicht unbedingt an der Stadt selbst, sondern viel mehr an den herzlichen Einheimischen, welche wir kennen lernen. Das Strassenbild ist bunt gemixt: Kühe, Strassenköter und schwarze Hängebauchschweine auf der Suche nach Essbarem, Tibeter in traditioneller Tracht und Kopfschmuck, Frauen, die an den öffentlichen Brunnen am Strassenrand Wäsche und Gemüse waschen. Zudem hören wir den ganzen Tag tibetische Musik in der Endlosschlaufe.

Auf dem Weg von Batang nach Litang steht uns mit 4’685 Metern der bisher höchste Pass dieser Reise bevor. Wir planen, am Fusse des Aufstiegs zu zelten und den Aufstieg am nächsten Morgen in Angriff zu nehmen. Es beginnt jedoch bereits am Nachmittag zu regnen und hört nicht mehr auf. Per Zufall entdecken wir in einem Kaff wenige Kilometer vor unserem geplanten Übernachtungsort ein «Hotel» ohne fliessend Wasser. Aber unter diesen Umständen sind wir extrem froh, ein Dach über dem Kopf zu haben. Da es wie überall an Isolation und Heizung fehlt, frieren wir auch drinnen. Ausserdem ist der Strom so schwach, dass wir mit unserem Tauchsieder das Wasser für Kaffee nicht warm kriegen. So bleiben leider auch die Heizdecken kalt, auf die wir uns so gefreut haben. Doch als es während des Abendessens auch noch zu schneien beginnt, freuen wir uns umso mehr über unsere Bruchbude. Manchmal braucht es so wenig, um glücklich und dankbar zu sein.

Während des Aufstiegs am nächsten Tag schneit es immer wieder leicht und die Zehen sind permanent ohne Gefühl. Als wir um 16 Uhr endlich auf der Passhöhe stehen, zeigt das Thermometer 0 Grad und ein heftiger, eisiger Wind peitscht uns um die Ohren. Zudem schneit es immer noch. Nun heisst es nix wie raus aus den verschwitzten Klamotten und all die warmen, trockenen Kleider überziehen, welche wir hinten griffbereit haben. Das bedeutet auch: Hosen runter und Thermoleggins montieren. Als ich halbnackt in der Kälte dastehe, hält ein Auto und 5 Mönche in ihren roten Roben steigen aus. «Hello! Can we take a picture?» Bitte was!? Wäre mein Gesicht nicht halb eingefroren, ich würde laut los lachen. Wo bitte bleibt das viel gelobte Mitgefühl, meine Lieben? Die Hände fallen uns vor Kälte beinahe ab und wir wollen so schnell wie möglich in tiefere Lagen kommen. Die fünf Freunde merken auch bald, dass wir nicht gerade Kaffeekränzchen-Stimmung sind und düsen nach ein paar Minuten wieder davon.

Die Strasse auf den Pass hoch ist in sehr gutem Zustand. Nach wenigen Kilometern Abfahrt treffen wir aber auf die wohl perfekteste Strasse, die wir je gesehen haben. Dunkler, feiner Asphalt - eine Augenweide für Tourenradler! Es geht stetig bergab und wir flitzen mit 40 - 50 km/h durch die verschneite Landschaft. Herrlich! Wir frohlocken bereits, dass wir so ja die restlichen 90 km bis Litang locker bis zum Eindunkeln schaffen werden. Wir stellen uns vor, wie wir in drei Stunden unter einer dampfenden Dusche stehen und anschliessend in einem schönen Zimmer endlich wieder mal unsere Mails checken können. Die Schussfahrt hat jedoch bald ein Ende, rollende Hügel stellen sich uns in den Weg. Ich merke, wie mich die Kräfte immer mehr verlassen und dass mir von der Anstrengung übel ist. Der stundenlange Aufstieg in dünner Luft hat mir arg zugesetzt. Und trotzdem: der Kopf will es nicht zulassen, dass wir so kurz vor unserem Ziel aufgeben und in dieser Kälte das Zelt aufschlagen. Das heisse Wasser ist nicht mehr weit! 35 km vor Litang muss ich mir eingestehen, dass ich es nicht mehr schaffen werde. Erschöpft und mit gefühllosen Füssen schleichen wir uns hinter einen Hügel und richten uns für die Nacht ein. Die Pasta sind sofort kalt, das Wasser in unseren Flaschen halb gefroren. Kein schönes Gefühl, wenn einem beim Trinken Eisstücke in den Mund gleiten.

Doch bereits im Verlaufe des Abendessen realisieren wir, dass es ein Glück war, es nicht mehr bis Litang geschafft zu haben. Am Abend werden wir mit einem wunderschönen Sonnenuntergang belohnt. In der Nacht schneit es weiter und die Landschaft präsentiert sich am nächsten Tag märchenhaft. Ein Happy End wie es im Buche steht.

Kommentar hinterlassen