China II

5.3. - 30.4.14

Statistik China II

  1. 57 Tage im Land
  2. 48 Nächte in Hotel
  3. 1 Nacht bei Privat
  4. 8 Nächte im Zelt
  5. 24 Tage im Sattel
  6. 1483 km / 19283 hm
  7. Keine Pannen

Und nachts wachen die Yaks

Nach einer Woche Zwangspause können wir endlich wieder in die Pedale treten. Wie schön, wieder unterwegs zu sein! Vor allem, wenn die Route durch eine solch wundervolle Gegend führt. Die Bäume stehen in voller Blüte und es herrscht kaum Verkehr. Zudem begegnen wir über eine Woche lang keinen westlichen Touristen. Nur unzähligen chinesischen Radfahrern, die alle mit leichtem Gepäck auf dem Weg von Chengdu nach Lhasa sind. Diese Strecke ist bei den jungen Chinesen äusserst beliebt - sie fahren zu Hunderten in Gruppen von meist 6 Personen oder mehr winkend an uns vorbei. Sie können nicht glauben, dass wir nicht die gleiche Route fahren. Lhasa ist doch so toll! Sie wissen nicht, dass ausländische Individualtouristen keine Chance haben, West-Tibet “unbewacht” zu besuchen. Wenn wir sagen, dass wir eine Bewilligung sowie einen teuren, vom Staat angestellten Guide bräuchten, der uns das Reiseprogramm vorschreibt und über all unsere Schritte wacht, schauen sie uns ungläubig an.

Unsere Route nach Norden führt uns über viele hohe Pässe in dünner Luft. Die langen Aufstiege sind ganz schön anstrengend, aber die Steigungen sind moderat und die Ausblicke auf der Passhöhe entschädigen jeweils für die Strapazen. Was uns viel mehr anstrengt als die Höhenmeter sind die Baustelle zwischen Litang und Garze. Anfangs radeln wir noch auf guter, neuer Strassen. Aber dann ist plötzlich Schluss mit lustig. Vier Tage lang ist die Strasse immer wieder aufgerissen und wir quälen uns über Schotter und Staubpisten. In etwa zwei Jahren führt hier eine perfekte Asphaltstrasse durch die Gegend. Eine weitere Herausforderung ist es, vor Steinschlag geschützte Campingplätze zu finden. Wir fahren einige Male fast in die Dunkelheit hinein, bis wir einen sicheren Ort finden.

Die Menschen in dieser Gegend sind sehr herzlich und hilfsbereit. Als wir eines Tages am Strassenrand unser Mittagessen zubereiten, lädt uns ein Mann ein, bei ihm weiter zu kochen. Mit Händen und Füssen gibt er uns zu verstehen, dass es bei ihm zu Hause viel weniger windig sei. Wir wiederum versuchen mit Zeichensprache zu erklären, dass es ziemlich umständlich wäre, all unsere Sachen inklusive aufgeheiztem Kocher und kochender Pasta zu seinem Haus zu befördern. Wir würden aber nach dem Essen gerne bei ihm vorbei schauen. Darauf hin packt er unsere Thermoskanne und kommt kurze Zeit später mit heissem Tee zurück. Seine Frau bringt zudem 5 Eier und einen Kohl mit. Noch vor dem Mittagshalt haben wir versucht Eier zu finden, haben aber in keinem der kleinen Dörfer einen Shop gesehen. Dank diesem liebenswürdigen Ehepaar gibt es ein viel abwechslungsreicheres Mittagessen als erwartet. Zwei Frauen gesellen sich dazu und wollen uns unbedingt beim Abwasch helfen. Keine Widerrede! Sie scheinen sich über etwas Abwechslung in ihrem Alltag zu freuen.

Am gleichen Abend entdecken wir ein schönes Zeltplätzchen, welches etwas versteckt hinter Büschen an einem Bach liegt. Doch kaum haben wir angehalten, kommt auch schon ein Junge auf seinem Motorrad daher. Interessiert wartet er ab, was als nächstes geschieht. Mit Zeichensprache deuten wir ihm, dass wir hier schlafen werden. Er springt vom Motorrad und hilft ganz selbstverständlich, unser Gepäck und das Tandem auf die andere Seite des Baches zu befördern und das Zelt aufzubauen. Als das Nachtlager fertig eingerichtet ist, kommen zwei Frauen und ein Mann mit ihren Yaks auf uns zu. Auch sie sind äusserst neugierig und freundlich und laden uns sofort zu sich nach Hause zum Essen ein. Wir sind gerührt, wissen aber im ersten Moment nicht, ob wir die Einladung annehmen sollen. Ungern lassen wir das Zelt und unsere Sachen unbeaufsichtigt irgendwo in den Bergen liegen. Andererseits ist die Gegend abgelegen und wir schätzen die Leute äusserst liebenswürdig und ehrlich ein. Vor allem sind es genau solch berührende Begegnungen, welche uns den Antrieb für die Reise geben. Nach einigem Hin und Her packen wir unsere Wertsachen in einen Rucksack und schliessen das Fahrrad an einen Baum - ganz zur Belustigung unserer Zuschauer. So war das nicht gemeint! Wir sollen bei ihnen übernachten und alles mitnehmen. Einmal mehr sind wir überwältigt von der Gastfreundschaft, die wir unterwegs immer wieder erleben dürfen. Dankend nehmen wir die Einladung an, machen ihnen aber klar, dass wir mindestens ein halbe Stunde Zeit brauchen, um alles wieder zusammen zu packen. Die vier lachen nur und schon halten sie Kleider und Heringe in der Hand. Im Nu ist alles verstaut und die Taschen stehen wieder auf der Strasse.

Ich hatte mich während der Zeit im Westen Sichuans oft gefragt, wie es wohl im Innern der traditionell tibetischen Häuser aussieht und wie darin gelebt wird. Wir freuen uns unheimlich, dass wir so kurz vor Verlassen der Region noch die Chance bekommen, Einblick in das Leben einer tibetischen Familie zu erhalten. Im unteren Teil des Hauses befindet sich der Yakstall, welcher für eine Nacht auch als Garage für unser Pino dient. Ob er sich in der Gesellschaft dieser zottligen Riesen wohl fühlt? Von hier führt eine steile Holztreppe im Dunkeln direkt hinauf in die Wohnung. Obwohl diese beiden Bereiche durch keine Türe getrennt sind, riecht es im oberen Stock erstaunlich neutral. Meinen wir zumindest, bis wir wieder über alle Berge sind und an unseren Kleidern schnuppern. Es scheint als spiele sich das Leben im Haus hauptsächlich in der Küche ab. Dies ist auch der einzige Raum, der durch das Kochen am offenen Feuer beheizt wird. Fliessend Wasser gibt es keines. In der Küche befindet sich ein riesiger Zuber, aus dem mit einer Kelle Wasser zum Kochen oder zum Händewaschen geschöpft wird. Wasser für die Körperpflege scheint es - zumindest an diesem Tag - nicht zu geben und wir fragen uns, wie und wie oft sich die Menschen hier waschen können. Das Trockenklo befindet sich gleich neben der Küche: ein kleiner Raum mit Lehmboden, der wie in China üblich lediglich mit einem Loch versehen ist. Für die Nacht wird uns der grösste Raum von allen zur Verfügung gestellt. Die Wände und Decken sind kunstvoll verziert, und in der Nacht werden zwei Yaks mit grossen Augen über uns wachen.

Vorher dürfen wir es uns aber in der warmen Küche gemütlich machen und werden richtig verwöhnt. Unsere Gastgeberin knetet einen Teig, von dem sie Fetzen für die Nudelsuppe abreist und in das kochende Wasser wirft. Herrlich! Auch ihr zweijähriger Sohn wird von allen Seiten umsorgt. Als er nach dem Stillen wieder zu schreien beginnt, wird er an die Grossmutter weitergereicht - welche ihm ebenfalls die Brust anbietet. Wir geben uns alle Mühe, nicht so perplex drein zu schauen wie wir gerade sind. Immerhin: einen ökologischeren und ökonomischeren Nuggi-Ersatz gibt es wohl kaum. Ein paar Tage später erfahren wir von den zwei Tourenfahrern Pip und Charlie aus England, dass sie genau das gleiche während ihrem Familienbesuch erlebt haben, jedoch mit einem 5 Jahre alten Jungen. Na dann Prost!

Der Knabe unserer Gastfamilie schläft zusammen mit seiner Grossmutter in einem winzigen, dunklen Verschlag, während die Mutter zusammen mit ihrem Mann über ein eigenes Zimmer verfügt. Zum Morgenessen werden wir erneut lecker bekocht und die Familie lädt uns ein, noch einen Tag zu bleiben. Wie gerne hätten wir zugesagt! Wir wissen aber nicht, wie häufig die Busse nach Chengdu fahren und die Zeit in China wird langsam knapp. So verabschieden wir uns von der lieben Familie und sind dankbar für eine weitere prägende Erfahrung.

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