Verflixt und zugenäht
Zum zweiten Mal auf der Strecke Osh - Naryn verlangsamt ein Lieferwagen und der Beifahrer fragt uns mit Handzeichen, ob wir mitfahren wollen. Ein verlockendes Angebot bei dieser miesen Strassenqualität und dem ständigen Auf und Ab. Trotzdem lehnen wir dankend ab. Der Wagen braust unter einer Staubwolke davon.
“Hoffentlich passiert nicht dasselbe wie beim letzten Mal.”
Kurz nachdem wir damals abgelehnt haben, ist der Reifen unseres Hinterrades explodiert.
Ich kann gerade noch sagen “Denk nicht so was!”.
Ein Knall.
Wir fühlen uns wie Statisten in einem schlechten Film. Es ist wie verflixt in Kirgistan, die Pannenstatistik ist steil in die Höhe geschossen. Wir haben 4 gebrochene Speichen und 2 explodierte Reifen zu verbuchen. Davor sind wir mit 2 Plattfüssen und einer gebrochenen Speiche davon gekommen. Aber genug ist genug, bereits in Tadschikistan haben die teils ruppigen Strassen und die Schlaglöcher unserem Material (und uns) stark zugesetzt. Und obwohl wir gehört haben, wie schlecht die Strasse über Kazarman nach Naryn ist, haben wir uns für diese Route und somit gegen die geteerte Hauptstrasse entschieden. Wenn wir den verrückten Autofahrern ausweichen können, nehmen wir gerne ein paar Pässe und Schotterpisten in Kauf.
Anmerkung für alle, die diese Strasse fahren wollen: es ist ein Kampf und wir haben uns ein paar Mal gefragt, ob es ein Fehler war. Es war die anstrengendste Etappe der bisherigen Reise. Die wunderschöne Gegend entschädigt aber für die Strapazen. Im Nachhinein hat es sich für uns trotzdem gelohnt.
Zurück zu unserem Problem. Nun heisst es alles abladen, das Pino auf den Kopf stellen und Schlauch und Reifen wechseln. Weil bei unserem zweiten Pneu die Wand bereits ein wenig ausgerissen war, haben wir in Kazarman vorsichtshalber einen neuen Reifen gekauft. Der beste, der zu finden war: Modell China, mit maximal 100 Kilo belastbar. Hoffentlich ein schlechter Witz! Als wir den Reifen aufpumpen, fällt er bereits auseinander. Der ganze Pneu ist ein Witz.
So stehen wir also da mit 3 kaputten Reifen und zwei geflickten Schläuchen. Natürlich kommt kein Laster mehr vorbei, der uns mitnehmen könnte. Wir versuchen es mit Kleben, aber nach ein paar Minuten Fahrt drückt der Schlauch durch und droht mit einer dritten Explosion. Also laden wir alles wieder ab und greifen zum letzten Mittel: der Nähnadel. Marcel nimmt sich überraschend der Aufgabe an. Ich versteh schon, Gummi nähen ist attraktiver als Stoff, das gibt auch schön schwarze Pfoten. Zwei Mal drüber und fertig ist das Flickwerk. Wie schön, ich entdecke immer wieder neue Fähigkeiten an meinem Mann.

Nun aber auf schnellstem Weg nach Naryn. Wir sind noch 7 Kilomter von Ak-Tal entfernt, ab da bis ins 100 Kilometer entfernte Naryn ist die Strasse geteert. Wir fahren am Abzweiger zum Song-Kul vorbei, zu dem wir eigentlich wollten. Aber mit einem genähten Reifen 190 Kilometer Umweg auf schlechten Strassen fahren ist uns zu riskant.
Dachten wir zuerst. Als wir am Abend gemütlich bei einem Bier neben unserem Zelt sitzen und Richtung Berge schauen, finden wir die Idee gar nicht mehr so abwägig. Mit jedem Schluck ein bisschen weniger. Ein kurzer Check: Ak-Tal, 15 Grad, der Pneu hält. Also los! Am nächsten Morgen fahren wir die 10 Kilometer zum Abzweiger zurück und stechen in die Berge, dem See entgegen.
Es war die beste Entscheidung. Die Strasse ist nicht mehr ganz so rutschig wie zuvor, die Steigung am Pass ist angenehm und die Landschaft wunderschön. Es gibt auf dieser Hochebene um den See keine Häuser, nur Jurten. Viele sind schon abgebrochen, im Frühling und Hochsommer muss es hier davon wimmeln. Die Wiesen und Hügel sind schwarz, braun und weiss gesprenkelt: tausende Pferde, Kühe, Schafe und Ziege spazieren herum und grasen die letzten Halme ab. Einige sind permanent von Hirten begleitet, andere laufen frei herum und werden am Abend wieder eingesammelt.
Zum ersten Mal schlafen wir in einer Jurte. Wir sind zu Gast bei Mayram und Ahmad, die dieses Erlebnis an Touristen verkaufen. Sie kümmern sich rührend um uns und verwöhnen uns mit einfachem aber leckerem Essen.
Vor dem Abendessen geben sie uns zu verstehen, dass sie ein Schaf schlachten werden. Ich bin entsetzt, da ich Schafsfleisch des Geschmacks wegen beim besten Willen nicht runter kriege. Mit Händen und Füssen mache ich ihnen klar, dass sie dies für uns nicht tun müssen, dass wir ohne Fleisch mehr als zufrieden sind. Die beiden brechen in herzhaftes Gelächter aus. Sie meinen ich sei traurig, dass ein Tier stirbt und verschieben für mich die Exekution auf den nächsten Mittag. Das Fleisch war gar nicht für das heutige Abendessen gedacht. Es wird das Ehepaar und einen ihrer Söhne die nächsten 10 Tage ernähren.
Zu fünft schlafen wir in der Jurte, unter mehreren Schichten aus schwerer Decken. Am Morgen geniessen wir den Anblick der einfallenden Lichtstrahlen durch das Dach und die Ritzen der Jurte.
Auch wenn wir in Kirgistan ein paar Mal Pech hatten mit Pannen, steht uns doch auch das Glück zur Seite. So fängt es exakt in dem Moment an zu regnen, als wir nach 12 Tagen Fahrt auf Staubpisten in die Teerstrasse nach Naryn einbiegen. Eine üble Schlammschlacht bleibt uns erspart. Am nächsten Tag liegt die ganze Gegend um den Song-See unter einer Schneedecke.
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