Geduld, Geduld
Wir erleben momentan so viel, dass wir noch keine Zeit hatten, unseren Blog zu aktualisieren. Wir holen dies so schnell wie möglich nach!
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Ich kann es nicht fassen, wir tun es erneut. Wir liegen in einem Bus, umgeben von stinkenden Wolldecken und muffigen Kissen. Hinter mir kotzt sich eine ältere Frau die Seele aus dem Leib. Mein offeriertes Motilium kommt anscheinend zu spät - die Kotzerei geht nach einem Schlafunterbruch weiter. So viel zum Thema «Nie wieder Schlafbus!». Immerhin: diesmal dauert die Fahrt nur 16 und nicht 46 Stunden und wir haben sogar eine Ablagefläche für unsere Sachen.
Ihr fragt euch bestimmt: warum nur tun die sich das erneut an? Ehrlich gesagt frage ich mich das auch. Aber die Strecke Kunming bis zur Grenze nach Laos sind wir das letzte Mal bereits geradelt und wir würden etwa 2 Wochen unseres 60 Tagesvisums verlieren. Diese wollen wir lieber an Orten verbringen, die wir noch nicht gesehen haben. Also heisst es Augen zu und durch und unser Hab und Gut in Jinghong in einen Bus nach Dali verladen. Das Positive an solchen Aktionen: man schätzt es danach umso mehr, wieder mit dem Rad unterwegs zu sein.
Nach einer äusserst kurvenreichen Fahrt kommen wir gerädert aber heil in Dali an und werden als erstes gleich mal von den Touristenmassen erschlagen. Es wimmelt von Chinesen! Eigentlich wollten wir nur zwei Tage bleiben, aber die Klimaveränderung und die dünnere Luft machen mich fix und fertig. Dali liegt zwar nur auf 2’007 m ü. M., aber nach langer Zeit auf Meereshöhe und in feuchtheisser Umgebung ist dies eine ziemliche Umstellung. So hängen wir noch drei Tage an und geniessen das nette Guesthouse, leckeres Essen und eine Wanderung durch die Wälder oberhalb der Stadt.
Die anschliessende Fahrt nach Lijang ist anstrengender als erwartet. Ziemlich fertig kommen wir in der Touristenhochburg an und schieben - auf der Suche nach einer bezahlbaren Unterkunft - unser Tandem über die rutschigen Pflastersteine der teils steilen Gassen. Wir trauen unseren Augen nicht. Überall wird gebaut, an jeder Ecke wird die «Altstadt» durch neue Hotels im alten Stil erweitert, um noch mehr Touristen unterbringen zu können. Der eigentliche Tourismusboom begann nach dem schweren Erdbeben von 1996, als die Stadt aufwändig renoviert wurde und sie nach dem Beben dem alten Lijang ähnlicher sah als zuvor. Ein Jahr später wurde die 800-jährige Altstadt in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen. In der ersten Jahreshälfte 2012 zählte die Stadt bereits 8 Millionen Besucher, 95% von ihnen aus dem Inland. Es ist somit die beliebteste Tourismusdestination der Chinesen. Die Altstadt Lijangs gleicht einem Museum - keine lokalen Märkte, keine Wohnhäuser, keine Einheimischen, die sich auf einen Tee oder auf ein Brettspiel treffen. Nur Souvenirshops, Restaurants und Kaffeehäuser, die auf Touristen ausgerichtet sind. Würde man die Besucher abziehen, wäre sie komplett ausgestorben. Trotzdem gefällt es uns hier. Die Häuser im traditionellen Stil, die verwinkelten Pflastersteingassen und die vielen Kanäle und Brücken geben der Stadt einen gewissen Charme.
Hier sind die Naxi zu Hause - eine Minderheit, welche von tibetischen Nomaden abstammen, die sich ungefähr im 10. Jahrhundert in dieser Region angesiedelt haben. Die Gesellschaft ist stark von matriarchalischen Einflüssen geprägt. Die Frauen erben den gesamten Besitz, machen die meiste Arbeit und besitzen den Grossteil der Geschäfte. Die dominierende Rolle der Frau widerspiegelt sich sehr schön in ihrer Sprache. Wird einem Nomen das Wort «Frau» angehängt, wird es stärker, beim Wort «Mann» schwächer. Das bekannteste Beispiel: ein weiblicher Stein ist ein Felsbrocken, ein männlicher Stein ein Kiesel. An alle Vollblutemanzen: Lijang ist DIE Traumdestination für euch!
Auf der Weiterfahrt Richtung Norden amüsieren wir uns über die verdrehten Jahreszeiten: nach dem Hochsommer in Südostasien ist der Frühling zurückgekehrt. Die Bäume blühen weiss und rosa, die Temperaturen sind tagsüber sehr angenehm. Wir können sogar im T-Shirt und Marcel in kurzen Hosen radeln! Sobald die Sonne jedoch verschwunden ist wird es kalt und wir sind froh um unsere Daunenjacken. Nach dem Frühling ist der Winter nicht mehr weit - er klopft bereits an die Tür.
Nach zwei Tagen erreichen wir ein weiteres Highlight: die Tigersprungschlucht. Unzählige Busladungen an Touristen werden in die weltweit tiefste Schlucht gekarrt. Rund 3’900 Meter trennen den tiefsten Punkt vom höchsten. Wir können uns kaum satt sehen an den hohen Bergen. Wie wir sie in Südostasien vermisst haben! Zwischen den Felswänden rauscht der Jiangtsekiang mit einer ungeheuren Kraft. Wir haben uns also nicht nur vom westlichen Touristenstrom zum chinesischen fortbewegt, sondern auch weg vom Mekong hin zum Yangtze. Mit 6’380 Kilometern ist er der längste Fluss Asiens und nach dem Nil und dem Amazonas der drittlängste Strom der Welt.
Von hier nach Shangri-La gilt es noch einen Pass zu bezwingen. Die Fahrt durch die Nadelwälder ist wunderschön und erinnert uns stark ans Engadin. Wir staunen, dass es auf einer Höhe von knapp 4’000 Metern noch so viele Bäume gibt. Kaum haben wir den Pass hinter uns, befinden wir uns in einer anderen Welt. Die Häuser und Kleider sind plötzlich tibetisch, die ersten Yak springen aufgeschreckt vor uns davon und Gebetsfahnen flattern im Wind. Was so ein Hügel ausmachen kann!
Und auch, was ein Name ausmachen kann. Shangri-La hiess bis im Dezember 2001 Zhongdian, und niemand interessierte sich gross für diese Holzfällerstadt. Drei Jahre zuvor hatte die Regierung ein Verbot zur Holzfällung ausgesprochen. Die Bewohner mussten sich also eine neue Geldquelle einfallen lassen. Also benannten sie die Stadt nach dem buddhistischen Paradies in James Hilton’s Novelle «Der letzte Horizont» (1930) und investierten ein Vermögen, um das tibetische Viertel in eine attraktive Altstadt zu verwandeln. Es entstand eine komplette Infrastruktur für Touristen - selbstverständlich im traditionellen Stil. Der Plan ging auf. Leider fiel die Stadt im Januar dieses Jahres einem Grossbrand zum Opfer, 70% der «Altstadt» brannte ab. Auch wenn wir Dank den Medien und von anderen Reisenden vorgewarnt waren - nichts konnte uns auf diesen schrecklichen Anblick vorbereiten.
Im beliebten Noa Café lernen wir eine Expat-Familie aus Frankreich kennen. Der Vater erzählt uns, dass er beim Brand allein zu Hause war. Er flüchtete auf den Hügel und musste hilflos mitansehen, wie die Flammen Haus um Haus wegfrassen. Es dauerte eine Ewigkeit, bis die Feuerwehr etwas gegen das Feuer unternehmen konnte - die Wasserleitungen waren eingefroren. Seine Erleichterung war riesig, als das Feuer 30 Meter vor seinem Haus stoppte. Umso grösser war der Schock, als er nach Hause zurückkehrte: die Wände waren eingerissen, das Haus zerstört. Die Feuerwehr musste intakte Gebäude beschädigen, da sie mit den Löschfahrzeugen nicht durch die engen Gassen kamen. Die Familie wohnt zur Zeit in einem Hotel, bis sie in eine neue Wohnung ziehen können. Ein Chinese erzählt uns, dass die Regierung die Altstadt innerhalb von drei Jahren wieder aufbauen werde. Erneut entsteht hier somit die wohl neuste Altstadt der Welt. Laut seinen Angaben erhalten die betroffenen Familien 2’000 - 3’000 Franken Schadenersatz. Bei Weitem nicht genug, um sich eine neue Existenz aufzubauen.
Das Barley Hostel ist eines der ersten Gebäude, die vom Brand verschont geblieben sind. Als wir dort ankamen trauten wir unseren Augen kaum. Da sass der Chinese Nick, den wir bereits vor 5 Monaten in Labrang getroffen haben! Die Freude auf beiden Seiten war riesig. Da soll noch jemand behaupten, alle Chinesen sähen gleich aus und das Land sei gross.
Die zwei verschneiten Tage in Shangri-La nutzen wir, um uns für die Weiterfahrt vorzubereiten. Sprich: neben Lebensmitteln kaufen wir eine neue Daunenjacke für Marcel, drei Bettflaschen und eine Thermoskanne. Dies alles können wir bereits in der Jugendherberge gebrauchen. Isoliert ist hier kein Haus, und Zentralheizungen gibt es schon gar nicht. So ist es auch im Innern gerade mal 8 Grad warm. Die Daunenjacke wird zu unserer zweiten Haut. Aber ob wir überhaupt weiterfahren können? Das wissen wir bis zum Moment der Weiterfahrt nicht so genau. Jedes Jahr im März sind Tibet und gewisse Regionen im Norden und Westen Sichuans für Ausländer gesperrt. Grund dafür sind Unruhen (oder die Angst vor Unruhen) zum Jahrestag der Flucht des Dalai Lamas aus Lhasa im Jahre 1959. Offizielle Informationen zur Situation gibt es nicht. So hat man keine Ahnung, von wann bis wann genau welche Region geschlossen ist. Wir erhalten den Tipp, beim Busbahnhof nach Tickets für Litang zu fragen. Würden sie uns welche verkaufen, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass wir durchgelassen werden. Die Antwort ist positiv!
So schwingen wir uns nach einer kurzen Pause voller Vorfreude wieder auf’s Rad. Auf geht’s in die Berge Osttibets!
2 KommentareKaum haben wir die Shangri-La verlassen sind wir alleine weit und breit. Wir sehen tagelang keine Touristen, weder aus West noch aus Ost. Es wird immer tibetischer! Die Einheimischen sind extrem neugierig und wollen wissen wo wir hin wollen. Ein Tibeter ist ganz begeistert von unserem Gefährt und will sich vorne aufs Pino setzen. Es ist mir unangenehm, ihm mit Zeichensprache klar machen zu müssen, dass dies das erlaubte Maximalgewicht von 225 Kilos übersteigen würde. Er streicht sich leicht betroffen über seine Wampe. So leid es mir tut, seine Gefühle zu verletzen, aber noch einen Rahmenbruch würden wir gerade nicht verkraften. Er scheint es uns zum Glück nicht allzu übel zu nehmen und schenkt uns zwei Flaschen Wasser.
Die wunderschöne Fahrt führt uns entlang der Grenze zu Tibet. Nur der Jiangtsekiang trennt uns vor dem für uns unzugänglichen Gebiet. Jede Brücke über den Fluss wird streng von den Chinesen überwacht. Auch sonst steht das gesamte Gebiet - auch auf unserer Seite in Sichuan - unter einer strengen Kontrolle. Immer wieder begegnen wir Polizisten auf Patrouille. Einmal werden wir von einer Truppe von 9 schwerbewaffneter Han Chinesen umzingelt. Der eine richtete eine Videokamera, ein anderer eine Spiegelreflexkamera auf uns. Immerhin sonst keines ihrer scharfen Geschütze. Trotzdem sind wir empört. Auf unsere genervte Frage, wieso sie uns filmen, beenden sie die Aufnahme. Wir müssen ihnen aber auf der Karte ganz genau zeigen, wohin wir fahren werden.
In Batang ist die Polizeipräsenz besonders hoch. Der Highway 318 nach Lhasa führt hier vorbei, 30 km weiter südlich ist der Übergang nach Tibet. Wir begegnen ständig Horden von Polizisten, ausgerüstet mit Schutzschildern, Knüppeln, Helmen und Sturmgewehren. Zudem haben sie in der ganzen Stadt das Internet lahm gelegt. Zuerst denken wir, dass unser Hotel ein Problem mit der Stromversorgung oder dem Router hat. Als wir jedoch beim lokalen Internetkaffee an die Tür klopfen, bleiben uns die Münder offen stehen. Wir blicken in eine riesige Halle voller Computer. Menschenleer. Der Betreiber versucht uns ebenfalls verständlich zu machen, dass in diesem Monat in Sachen Internet gar nichts geht. Unfassbar, was sich die paranoiden Chinesen alles einfallen lassen, um die Tibeter zu unterdrücken.
Ansonsten gefällt es uns in Batang sehr gut. Das liegt nicht unbedingt an der Stadt selbst, sondern viel mehr an den herzlichen Einheimischen, welche wir kennen lernen. Das Strassenbild ist bunt gemixt: Kühe, Strassenköter und schwarze Hängebauchschweine auf der Suche nach Essbarem, Tibeter in traditioneller Tracht und Kopfschmuck, Frauen, die an den öffentlichen Brunnen am Strassenrand Wäsche und Gemüse waschen. Zudem hören wir den ganzen Tag tibetische Musik in der Endlosschlaufe.
Auf dem Weg von Batang nach Litang steht uns mit 4’685 Metern der bisher höchste Pass dieser Reise bevor. Wir planen, am Fusse des Aufstiegs zu zelten und den Aufstieg am nächsten Morgen in Angriff zu nehmen. Es beginnt jedoch bereits am Nachmittag zu regnen und hört nicht mehr auf. Per Zufall entdecken wir in einem Kaff wenige Kilometer vor unserem geplanten Übernachtungsort ein «Hotel» ohne fliessend Wasser. Aber unter diesen Umständen sind wir extrem froh, ein Dach über dem Kopf zu haben. Da es wie überall an Isolation und Heizung fehlt, frieren wir auch drinnen. Ausserdem ist der Strom so schwach, dass wir mit unserem Tauchsieder das Wasser für Kaffee nicht warm kriegen. So bleiben leider auch die Heizdecken kalt, auf die wir uns so gefreut haben. Doch als es während des Abendessens auch noch zu schneien beginnt, freuen wir uns umso mehr über unsere Bruchbude. Manchmal braucht es so wenig, um glücklich und dankbar zu sein.
Während des Aufstiegs am nächsten Tag schneit es immer wieder leicht und die Zehen sind permanent ohne Gefühl. Als wir um 16 Uhr endlich auf der Passhöhe stehen, zeigt das Thermometer 0 Grad und ein heftiger, eisiger Wind peitscht uns um die Ohren. Zudem schneit es immer noch. Nun heisst es nix wie raus aus den verschwitzten Klamotten und all die warmen, trockenen Kleider überziehen, welche wir hinten griffbereit haben. Das bedeutet auch: Hosen runter und Thermoleggins montieren. Als ich halbnackt in der Kälte dastehe, hält ein Auto und 5 Mönche in ihren roten Roben steigen aus. «Hello! Can we take a picture?» Bitte was!? Wäre mein Gesicht nicht halb eingefroren, ich würde laut los lachen. Wo bitte bleibt das viel gelobte Mitgefühl, meine Lieben? Die Hände fallen uns vor Kälte beinahe ab und wir wollen so schnell wie möglich in tiefere Lagen kommen. Die fünf Freunde merken auch bald, dass wir nicht gerade Kaffeekränzchen-Stimmung sind und düsen nach ein paar Minuten wieder davon.
Die Strasse auf den Pass hoch ist in sehr gutem Zustand. Nach wenigen Kilometern Abfahrt treffen wir aber auf die wohl perfekteste Strasse, die wir je gesehen haben. Dunkler, feiner Asphalt - eine Augenweide für Tourenradler! Es geht stetig bergab und wir flitzen mit 40 - 50 km/h durch die verschneite Landschaft. Herrlich! Wir frohlocken bereits, dass wir so ja die restlichen 90 km bis Litang locker bis zum Eindunkeln schaffen werden. Wir stellen uns vor, wie wir in drei Stunden unter einer dampfenden Dusche stehen und anschliessend in einem schönen Zimmer endlich wieder mal unsere Mails checken können. Die Schussfahrt hat jedoch bald ein Ende, rollende Hügel stellen sich uns in den Weg. Ich merke, wie mich die Kräfte immer mehr verlassen und dass mir von der Anstrengung übel ist. Der stundenlange Aufstieg in dünner Luft hat mir arg zugesetzt. Und trotzdem: der Kopf will es nicht zulassen, dass wir so kurz vor unserem Ziel aufgeben und in dieser Kälte das Zelt aufschlagen. Das heisse Wasser ist nicht mehr weit! 35 km vor Litang muss ich mir eingestehen, dass ich es nicht mehr schaffen werde. Erschöpft und mit gefühllosen Füssen schleichen wir uns hinter einen Hügel und richten uns für die Nacht ein. Die Pasta sind sofort kalt, das Wasser in unseren Flaschen halb gefroren. Kein schönes Gefühl, wenn einem beim Trinken Eisstücke in den Mund gleiten.
Doch bereits im Verlaufe des Abendessen realisieren wir, dass es ein Glück war, es nicht mehr bis Litang geschafft zu haben. Am Abend werden wir mit einem wunderschönen Sonnenuntergang belohnt. In der Nacht schneit es weiter und die Landschaft präsentiert sich am nächsten Tag märchenhaft. Ein Happy End wie es im Buche steht.
0 KommentareNach unserer Ankunft in Litang machen wir uns auf die Suche nach einer Unterkunft. Normalerweise haben wir keine grossen Ansprüche. Aber nach den kalten Nächten sehnen wir uns nach einer heissen Dusche. Beim zweiten Hotel werden wir fündig. Es gibt sogar eine Heizdecke und Internet. Was für ein Luxus!
Da wir am nächsten Morgen bereits weiterfahren wollen, erledigen wir schnellstens unsere Wäsche und geniessen dann einen halben Erholungstag. Doch am nächsten Morgen die Ernüchterung. Die Anstrengung und Kälte der letzten Tage waren zu viel. Alena liegt flach und an ein Weiterfahren ist nicht zu denken. Auch am nächsten Morgen geht es ihr nur unwesentlich besser, weshalb wir entscheiden nochmals einen Tag hier zu bleiben. Genervt meint sie: «Warum müssen wir immer wegen mir steckenbleiben? Ich wünsche mir, dass wir auch einmal wegen dir irgendwo eine Pause einlegen müssen.» Dies hätte sie besser sein lassen.
Am nächsten Morgen ist Alena wieder fit und voller Tatendrang packen wir unsere Sachen zusammen. Auf das Frühstück im Hotel müssen wir eine halbe Ewigkeit warten. Zum Glück. Nachdem wir gegessen und im Zimmer unsere Zähne geputzt haben, rumort es in meinem Magen. Ein Gang aufs WC bringt die Bestätigung. Als ich Alena erzähle was los ist schaut sie mich nur ungläubig an und meint: „Heute ist im Fall nicht der erste April.“ Mir ist nicht nach Lachen zu Mute und die WC Aufenthalte verdoppeln sich im Minutentakt. Wenigstens sind wir in einer guten Unterkunft. Zum Glück mussten wir heute so lange auf das Frühstück warten. Sonst wären wir wohl schon irgendwo auf dem Weg gewesen, als Alenas Wunsch in Erfüllung ging. Eine nicht so tolle Vorstellung, irgendwo auf 4’000 Meter über Meer wegen Magenproblemen stecken zu bleiben und keine gute Unterkunft zu haben.
Etwas Gutes hat der verlängerte Aufenthalt hier in Litang doch an sich. So können wir wenigstens unseren Blog mal wieder auf Vordermann bringen.
3 KommentareNach einer Woche Zwangspause können wir endlich wieder in die Pedale treten. Wie schön, wieder unterwegs zu sein! Vor allem, wenn die Route durch eine solch wundervolle Gegend führt. Die Bäume stehen in voller Blüte und es herrscht kaum Verkehr. Zudem begegnen wir über eine Woche lang keinen westlichen Touristen. Nur unzähligen chinesischen Radfahrern, die alle mit leichtem Gepäck auf dem Weg von Chengdu nach Lhasa sind. Diese Strecke ist bei den jungen Chinesen äusserst beliebt - sie fahren zu Hunderten in Gruppen von meist 6 Personen oder mehr winkend an uns vorbei. Sie können nicht glauben, dass wir nicht die gleiche Route fahren. Lhasa ist doch so toll! Sie wissen nicht, dass ausländische Individualtouristen keine Chance haben, West-Tibet “unbewacht” zu besuchen. Wenn wir sagen, dass wir eine Bewilligung sowie einen teuren, vom Staat angestellten Guide bräuchten, der uns das Reiseprogramm vorschreibt und über all unsere Schritte wacht, schauen sie uns ungläubig an.
Unsere Route nach Norden führt uns über viele hohe Pässe in dünner Luft. Die langen Aufstiege sind ganz schön anstrengend, aber die Steigungen sind moderat und die Ausblicke auf der Passhöhe entschädigen jeweils für die Strapazen. Was uns viel mehr anstrengt als die Höhenmeter sind die Baustelle zwischen Litang und Garze. Anfangs radeln wir noch auf guter, neuer Strassen. Aber dann ist plötzlich Schluss mit lustig. Vier Tage lang ist die Strasse immer wieder aufgerissen und wir quälen uns über Schotter und Staubpisten. In etwa zwei Jahren führt hier eine perfekte Asphaltstrasse durch die Gegend. Eine weitere Herausforderung ist es, vor Steinschlag geschützte Campingplätze zu finden. Wir fahren einige Male fast in die Dunkelheit hinein, bis wir einen sicheren Ort finden.
Die Menschen in dieser Gegend sind sehr herzlich und hilfsbereit. Als wir eines Tages am Strassenrand unser Mittagessen zubereiten, lädt uns ein Mann ein, bei ihm weiter zu kochen. Mit Händen und Füssen gibt er uns zu verstehen, dass es bei ihm zu Hause viel weniger windig sei. Wir wiederum versuchen mit Zeichensprache zu erklären, dass es ziemlich umständlich wäre, all unsere Sachen inklusive aufgeheiztem Kocher und kochender Pasta zu seinem Haus zu befördern. Wir würden aber nach dem Essen gerne bei ihm vorbei schauen. Darauf hin packt er unsere Thermoskanne und kommt kurze Zeit später mit heissem Tee zurück. Seine Frau bringt zudem 5 Eier und einen Kohl mit. Noch vor dem Mittagshalt haben wir versucht Eier zu finden, haben aber in keinem der kleinen Dörfer einen Shop gesehen. Dank diesem liebenswürdigen Ehepaar gibt es ein viel abwechslungsreicheres Mittagessen als erwartet. Zwei Frauen gesellen sich dazu und wollen uns unbedingt beim Abwasch helfen. Keine Widerrede! Sie scheinen sich über etwas Abwechslung in ihrem Alltag zu freuen.
Am gleichen Abend entdecken wir ein schönes Zeltplätzchen, welches etwas versteckt hinter Büschen an einem Bach liegt. Doch kaum haben wir angehalten, kommt auch schon ein Junge auf seinem Motorrad daher. Interessiert wartet er ab, was als nächstes geschieht. Mit Zeichensprache deuten wir ihm, dass wir hier schlafen werden. Er springt vom Motorrad und hilft ganz selbstverständlich, unser Gepäck und das Tandem auf die andere Seite des Baches zu befördern und das Zelt aufzubauen. Als das Nachtlager fertig eingerichtet ist, kommen zwei Frauen und ein Mann mit ihren Yaks auf uns zu. Auch sie sind äusserst neugierig und freundlich und laden uns sofort zu sich nach Hause zum Essen ein. Wir sind gerührt, wissen aber im ersten Moment nicht, ob wir die Einladung annehmen sollen. Ungern lassen wir das Zelt und unsere Sachen unbeaufsichtigt irgendwo in den Bergen liegen. Andererseits ist die Gegend abgelegen und wir schätzen die Leute äusserst liebenswürdig und ehrlich ein. Vor allem sind es genau solch berührende Begegnungen, welche uns den Antrieb für die Reise geben. Nach einigem Hin und Her packen wir unsere Wertsachen in einen Rucksack und schliessen das Fahrrad an einen Baum - ganz zur Belustigung unserer Zuschauer. So war das nicht gemeint! Wir sollen bei ihnen übernachten und alles mitnehmen. Einmal mehr sind wir überwältigt von der Gastfreundschaft, die wir unterwegs immer wieder erleben dürfen. Dankend nehmen wir die Einladung an, machen ihnen aber klar, dass wir mindestens ein halbe Stunde Zeit brauchen, um alles wieder zusammen zu packen. Die vier lachen nur und schon halten sie Kleider und Heringe in der Hand. Im Nu ist alles verstaut und die Taschen stehen wieder auf der Strasse.
Ich hatte mich während der Zeit im Westen Sichuans oft gefragt, wie es wohl im Innern der traditionell tibetischen Häuser aussieht und wie darin gelebt wird. Wir freuen uns unheimlich, dass wir so kurz vor Verlassen der Region noch die Chance bekommen, Einblick in das Leben einer tibetischen Familie zu erhalten. Im unteren Teil des Hauses befindet sich der Yakstall, welcher für eine Nacht auch als Garage für unser Pino dient. Ob er sich in der Gesellschaft dieser zottligen Riesen wohl fühlt? Von hier führt eine steile Holztreppe im Dunkeln direkt hinauf in die Wohnung. Obwohl diese beiden Bereiche durch keine Türe getrennt sind, riecht es im oberen Stock erstaunlich neutral. Meinen wir zumindest, bis wir wieder über alle Berge sind und an unseren Kleidern schnuppern. Es scheint als spiele sich das Leben im Haus hauptsächlich in der Küche ab. Dies ist auch der einzige Raum, der durch das Kochen am offenen Feuer beheizt wird. Fliessend Wasser gibt es keines. In der Küche befindet sich ein riesiger Zuber, aus dem mit einer Kelle Wasser zum Kochen oder zum Händewaschen geschöpft wird. Wasser für die Körperpflege scheint es - zumindest an diesem Tag - nicht zu geben und wir fragen uns, wie und wie oft sich die Menschen hier waschen können. Das Trockenklo befindet sich gleich neben der Küche: ein kleiner Raum mit Lehmboden, der wie in China üblich lediglich mit einem Loch versehen ist. Für die Nacht wird uns der grösste Raum von allen zur Verfügung gestellt. Die Wände und Decken sind kunstvoll verziert, und in der Nacht werden zwei Yaks mit grossen Augen über uns wachen.
Vorher dürfen wir es uns aber in der warmen Küche gemütlich machen und werden richtig verwöhnt. Unsere Gastgeberin knetet einen Teig, von dem sie Fetzen für die Nudelsuppe abreist und in das kochende Wasser wirft. Herrlich! Auch ihr zweijähriger Sohn wird von allen Seiten umsorgt. Als er nach dem Stillen wieder zu schreien beginnt, wird er an die Grossmutter weitergereicht - welche ihm ebenfalls die Brust anbietet. Wir geben uns alle Mühe, nicht so perplex drein zu schauen wie wir gerade sind. Immerhin: einen ökologischeren und ökonomischeren Nuggi-Ersatz gibt es wohl kaum. Ein paar Tage später erfahren wir von den zwei Tourenfahrern Pip und Charlie aus England, dass sie genau das gleiche während ihrem Familienbesuch erlebt haben, jedoch mit einem 5 Jahre alten Jungen. Na dann Prost!
Der Knabe unserer Gastfamilie schläft zusammen mit seiner Grossmutter in einem winzigen, dunklen Verschlag, während die Mutter zusammen mit ihrem Mann über ein eigenes Zimmer verfügt. Zum Morgenessen werden wir erneut lecker bekocht und die Familie lädt uns ein, noch einen Tag zu bleiben. Wie gerne hätten wir zugesagt! Wir wissen aber nicht, wie häufig die Busse nach Chengdu fahren und die Zeit in China wird langsam knapp. So verabschieden wir uns von der lieben Familie und sind dankbar für eine weitere prägende Erfahrung.
0 KommentareNichts konnte uns auf diesen Anblick vorbereiten. Erschlagen und schlicht überwältigt stehen wir beim Parkplatz in Larung Gar und schauen auf die Klosteranlage. Eine kleine Herberge reiht sich an die andere. Tausende. Die ganze Hügelkette ist übersät mit einfachen Unterkünften.
Wir können unser Glück kaum fassen, dass wir dies erleben dürfen. Die Anlage ist in keinem Reiseführer erwähnt. Unser Glück heisst Nick und ist ein chinesischer Reisender, welchen wir im letzten Oktober in Labrang kennen gelernt haben. Dort erzählte er uns von der Klosteranlage Larung Gar. Sofort wussten wir: da wollen wir hin. Die Anlage war lange für Touristen gesperrt. Dies erklärt auch, warum sie nirgends in den bekannten Reisebüchern erwähnt ist. Auch als wir uns von Sertar aus zur Klosteranlage aufmachen, wissen wir nicht, ob wir diese tatsächlich betreten dürfen. Umso grösser ist die Erleichterung, als wir Larung Gar erreichen und sich uns kein Polizist in den Weg stellt.
Die Klosteranlage gilt als die Grösste auf dem tibetischen Plateau. Offiziell ist die Anlage im Moment noch für 8’000 Nonnen und Mönche zugelassen. Inoffiziell wohnen aber über 40’000 Personen in der Anlage. Im Jahr 2002 fürchtete die Provinzregierung in Chengdu, dass die Klosteranlage einen zu grossen buddhistischen Einfluss auf die chinesische Bevölkerung der Umgebung nehmen könnte und begann damit, Nonnen und Mönche aus der Anlage zu vertreiben und die Gesamtzahl der Bewohner auf 8’000 zu beschränken. Dies führte natürlich zu Widerständen und erklärt auch, warum die Anlage für Touristen lange Zeit gesperrt war.
Die Bewohner leben in sehr einfachen Verhältnissen. Die kleinen Hütten verfügen über kein fliessend Wasser. Alle paar hundert Meter gibt es ein grösseres WC-Haus, aus welchem es fürchterlich stinkt. Daher erledigen viele ihr Geschäft gleich davor. Gekocht wird häufig mit Sonnenenergie. Dazu nehmen sie einen Spiegelreflektor zur Hilfe, welcher die Wärme auf die Pfanne umleitet. Unvorstellbar für uns ist, wie die Nonnen und Mönche die Winterkälte in den einfachen Behausungen überstehen. Die Anlage befindet sich auf einer Höhe von 4’000 Metern über Meer und die Durchschnittstemperatur im Winter liegt gemäss verschiedenen Quellen bei ca. -25 Grad Celsius, wobei Spitzen bis -40 Grad möglich sind.
Beim Mittagessen in der Klosterkantine kommen wir mit einigen Nonnen ins Gespräch, die alle gut Englisch sprechen. Ihr Alltag ist sehr strukturiert und nebst Schule, beten und meditieren bleibt ihnen kaum Zeit für Freizeitaktivitäten. Trotzdem machen sie einen äusserst glücklichen Eindruck. Wir werden noch gewarnt, nicht zu viel Mittagessen zu schöpfen, denn Resten dürfen keine stehen gelassen werden. Was übrig bleibt muss mitgenommen werden.
Der Besuch in Larung Gar versöhnt uns auch definitiv mit dem tibetischen Buddhismus. Hatten wir bei unserem ersten Besuch in Osttibet bei den Klosteranlagen von Labrang und Tongren oft das Gefühl, dass es den Mönchen nur ums Geld geht, spürten wir in Litang und Larung Gar eine wirklich tiefe Verbundenheit der Mönche zu ihrem Glauben.
Für andere Reisende, welche diese Anlage besuchen wollen, können wir die Webseite www.thelandofsnows.com empfehlen. Dort finden sich aktuelle Informationen zur politischen Lage und zahlreiche Reisetips in der Region. Für uns war der Besuch von Larung Gar ein absolutes Highlight der bisherigen Reise. Danke Nick für den Tip!
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