Geduld, Geduld
Wir erleben momentan so viel, dass wir noch keine Zeit hatten, unseren Blog zu aktualisieren. Wir holen dies so schnell wie möglich nach!
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Die Transsibirische Eisenbahn bringt uns von Peking in die Mongolei. Unser China Visum läuft aus, deshalb können wir die Strecke leider nicht radeln. Zudem erwarten wir in Ulan Bator Besuch von meinem Vater. Nachdem wir beinahe einen ganzen Morgen auf dem Bahnhof in Peking verbrachten und den Ort suchten, wo wir unser Velo verladen können, klappt dann doch noch alles problemlos. Als wir den Zug besteigen freuen wir uns schon: wir haben ein Viererabteil für uns alleine.
Der Grenzübertritt in die Mongolei geht beinahe von selbst. Die chinesischen Grenzbeamten sammeln die Pässe ein und wir rollen im Zug in eine Werkshalle. Hier geht es ihm an die Räder. Da die Schienen in der Mongolei schmaler sind, muss das gesamte Fahrwerk ausgewechselt werden. Zurück im Bahnhof ist es dann leider vorbei mit der Ruhe. Eine Horde chinesischer Bauarbeiter stürmt gegen Mitternacht den Wagen, gerade als wir es uns zum Schlafen bequem gemacht haben. Aus der Traum von einem Privatabteil in der TransSib.
In Ulan Bator werden wir freundlich empfangen. Einzig unser Velo hängt am Zoll fest. Glücklicherweise treffen wir auf eine Mitarbeiterin des Schweizer Konsulates. Sie hilft uns und erklärt, dass wir für unser Pino noch eine Gebühr von umgerechnet einem Dollar bezahlen müssen, damit wir es aus dem Zoll kriegen. Sie zeigt uns den Weg zur Zahlstelle und erzählt, dass sie auf eine Lieferung von 60 Flaschen Schweizer Wein warte, welche in unserem Zug mitreiste. Hätten wir dies bloss vorher gewusst!
Mit meinem Vater trifft aber eine andere Überraschungslieferung aus der Schweiz ein. Die Firma Icebreaker deckt uns mit je einem Kurz- und einem Langarmshirt ein. Wir freuen uns riesig und sagen ganz herzlich DANKE! Die Icebreaker Produkte sind für uns auf dieser Reise zu einem ständigen und unverzichtbaren Begleiter geworden. Die Merinowolle trocknet schnell und stinkt auch nach zahlreichen Radlertagen (fast) nicht. Sehr hilfreich, gerade hier in der Mongolei, da wir uns und die Kleider auf Grund fehlenden Wassers tagelang nicht werden waschen können.
Das Wetter spielt leider nach der Ankunft von Hans immer noch verrückt. Da am geplanten Abfahrtstag 15 cm Schnee liegen, verschieben wir die Abfahrt nochmals um einen Tag. Ein weiser Entscheid. Am nächsten Morgen scheint die Sonne und die Temperaturen sind angenehm warm. Bald lassen wir das Chaos Ulan Bators hinter uns und geniessen die unglaublichen menschenleeren Weiten der Mongolei. Im Vorfeld konnten wir uns dies kaum vorstellen. 3 Millionen Menschen leben auf einer Fläche, die 5 Mal so gross ist wie Deutschland. 1.2 Millionen davon wohnen in der Hauptstadt. Die restlichen Mongolen haben die Steppe und die Berge für sich allein und für ihre rund 36 Millionen Tiere.
Am zweiten Tag schlägt das Wetter wieder heftig um. Rechts von uns tobt ein Schneesturm, links von uns ein Sandsturm und wir kämpfen in der Mitte gegen extremen Gegenwind. Glücklicherweise entdecken wir am Abend ein einfaches Hotel. Zelten bei diesem Sturm wäre nicht sehr angenehm gewesen, zumal sich die Temperaturen gegen den Gefrierpunkt bewegen. Die nächsten Tage kämpfen wir immer wieder gegen extremen Gegenwind. Das Ganze zerrt an den Kräften. So hat Alena Probleme mit ihrem Knie und Hans mit der Achillessehne. Nach einem Ruhetag in Tsetserleg sind beide wieder einigermassen fit. Gerade rechtzeitig, denn ab hier ist es nun vorbei mit dem schönen Asphalt und wir fahren über sandige Pisten. Einfach herrlich, aber sehr anstrengend. Hans hätte sich sicherlich ein einfacheres Land für seine erste Velotour aussuchen können.
Der lästige Gegenwind bleibt ein ständiger Begleiter. Eines Tages bremst er uns so stark aus, dass wir kaum vom Fleck kommen. Als wir nach dem Mittagessen die Fahrt für den Tag abbrechen, stehen gerade mal 17 gefahrene Kilometer auf dem Tacho. Doch der frühzeitige Halt hat auch dieses Mal seine positive Seite. Kaum haben wir die Zelte aufgerichtet, erhalten wir Besuch von zwei jungen Hirten. Mit Händen und Füssen und mit Hilfe unseres Phrasebooks verständigen wir uns. Sie meinen der Wind sei viel zu stark und wir sollen doch bei ihnen in ihrem Ger (Jurte) übernachten. Gerne nehmen wir die Einladung an, nimmt es uns doch schon länger Wunder, wie es im Innern eines Gers aussieht. Zuerst drehe ich aber mit den beiden eine Runde mit dem Pino.
In einem mongolischen Ger gilt es viele Regeln zu beachten. So soll man sich als Besucher immer nur auf der linken Seite aufhalten. Die Gastgeber bleiben während dieser Zeit auf der rechten Seite. Die Füsse darf man nicht gegen die Menschen strecken, aber auch nicht gegen die Türe oder gegen den Ofen, welcher in der Mitte des Zeltes steht und mit Yak-Dung betrieben wird. Darauf kochen uns die beiden Brüder einen feinen Tee und ein einfaches Abendessen. Die beiden verbringen den Sommer zusammen mit einem Freund getrennt von der Familie hier im Ger und bewachen die zahlreichen Yaks, Pferde und Schafe. Es spricht sich wohl in der Nachbarschaft rum, dass wir hier sind. So kommen am Abend verschiedene Personen zu Besuch. Der Platz im Ger ist sehr beschränkt. Wir drei Gäste schlafen auf unseren Schlafmatten auf dem Boden und die drei Gastgeber teilen sich das einzige schmale Bett. Am nächsten Morgen erhalten wir nochmals Besuch. Der Grossvater von den zwei Brüdern schaut mit einem Bekannten vorbei. Leider sind beide bereits sturzbetrunken und der Freund des Grossvaters verlangt Vodka von uns. Die Situation ist angespannt und er will Hans sogar an den Kragen, als dieser ihm sagt, er habe keinen Vodka. Unseren drei Gastgebern ist die Situation sichtlich peinlich. Sie greifen beruhigend ein und wir verabschieden uns so schnell wie möglich.
Der Alkoholkonsum ist in der Mongolei ein grosses Problem. Vodka ist extrem günstig und überall zu kaufen. Zum Glück bleibt dies die einzige wirklich negative Situation, in welche wir verwickelt sind. Allerdings ist es für uns erschreckend zu sehen, wie oft dass Väter besoffen sind. Wir können uns kaum vorstellen, wie schlimm es für Kinder oder Ehefrauen sein muss, um mit den besoffenen Männern und Vätern klarzukommen. Wir treffen unterwegs auch auf einen Mongolen, welcher mit seinem Motorrad im Graben liegt. Wir wollen ihm zuerst helfen, das Bike zurück auf die Strasse zu schieben, erkennen aber bald, dass er extrem betrunken ist und kaum mehr stehen kann. Als wir sicher sind, dass er vom Sturz unverletzt geblieben ist, lassen wir ihn zur Ausnüchterung zurück. Wir wollen nicht riskieren, dass er in diesem Zustand weiterfährt und nochmals einen Unfall baut.
Mit einem Ausflug per Jeep zum Khövsgöl Nuur lassen wir die schöne gemeinsame und erlebnisreiche Zeit mit Hans ausklingen. Mit einer Grösse von 2’760 Quadratkilometern und einer Tiefe von bis zu 262 Metern fasst der See 1 – 2% des gesamten Süsswasservorkommens der Welt. Im Winter ist er jeweils komplett zugefroren und wir haben das Glück, dass noch nicht alles Eis geschmolzen ist. Es ist faszinierend, den driftenden Schollen zuzuschauen und zu hören, wie das Eis aneinander reibt. Bei dieser wunderschönen, unberührten Natur erstaunt es nicht, dass Hans gerne noch den EINEN oder anderen Tag länger geblieben wäre.
0 Kommentare«Fish!» Ganbat deutet in unserem OhneWörterBuch auf die entsprechende Zeichnung. Mit Händen und Füssen versucht er uns verständlich zu machen, dass er bald wieder bei uns sei. Mit einem Fisch. Und tatsächlich: 10 Minuten später überreicht uns der 15-jährige das selbst gefangene Exemplar. Die Innereien hat er bereits durch eine Frühlingszwiebel ersetzt.
Das Mittagessen schmeckt köstlich und ist für uns eine regelrechte Motivationsspritze. Allein an diesem Morgen hatten wir fünf Platten zu beklagen, tags zuvor drei. Weit sind wir so in den letzten zwei Tagen nicht gekommen. Schuld an der Sache ist ein Felgenband von mieser Qualität, welches bei einem Service in China eingesetzt wurde. Dadurch hat es unsere beiden Schläuche für das Vorderrad der Länge nach immer mehr aufgerissen. Wir zweifeln in diesem Moment, die geplante Runde überhaupt fahren zu können. Unsere Sorgen schieben wir beim Essen aber zur Seite und wir geniessen die Zeit mit Ganbat in Bayanzürkh. Er verköstigt uns nicht nur, sondern er zeigt uns auch, wie wir uns hinter dem Fahrrad verstecken müssen, falls ein Wolf angreift.
Am Abend zelten wir an dem Fluss, den wir am Nachmittag fünf Mal kurz hintereinander überqueren mussten. Die Furten sind die Kehrseite des plötzlichen Wassersegens, doch diese nehmen wir gerne in Kauf. In den ersten fünf Wochen haben wir erstaunlich selten Wasser gefunden und mussten jeweils bis zu 12 Liter mitschleppen. Ein paar Mal mussten wir uns beim Kochen ein anderes Gericht einfallen lassen, bei dem wir weniger Wasser verbrauchten. Das Geschirr haben wir anschliessend mit WC-Papier gereinigt, da das Wasser sonst nicht mehr zum Trinken gereicht hätte. Viele Tage hintereinander mussten wir auf die dringend nötige Dusche verzichten. In solchen Zeiten wird einem wieder so richtig bewusst, wie kostbar Wasser ist. Und was für eine geniale Erfindung Feuchttücher sind. Heute aber fliesst das Wasser in Unmengen vor unserer Nase durch und wir werden endlich wieder richtig sauber.
Gerade rechtzeitig sind wir wieder angezogen, denn schon kommen die ersten neugierigen Besucher daher. Während wir kochen, treiben drei kleine Kinder eine Herde Ziegen über die Wiese. Scheu kommt das Mädchen kurz darauf wieder zurück und drückt uns je ein Stück Käse und etwas Brot in die Hand. Kaum haben wir fertig gegessen, erhalten wir Besuch von zwei Geschwistern im Teenageralter. Sie wohnen im Ger ganz in der Nähe und bringen uns zwei Flaschen Joghurt und Käse mit. Um zu zeigen, dass der Inhalt wirklich essbar ist, steckt sie ihre Zunge in die PET-Flasche und zieht sie weiss bedeckt wieder raus. Sie lacht über das ganze Gesicht und bricht gleich darauf erneut in einen heftigen Hustenanfall aus. Damit aber noch nicht genug für diesen Tag: Ein Hirte, der uns zuerst mit dem Pferd besucht hat, kommt später am Abend mit dem Motorrad zurück und überreicht uns eine Tüte mit getrocknetem Fleisch. Wir sind überwältigt!
Am nächsten Tag geht es gleich als erstes durch den eiskalten Fluss. Es soll nicht beim einzigen Mal bleiben: ganze 11 Mal müssen wir während den nächsten 12 Kilometer den gleichen Fluss überqueren. Dabei müssen wir jedes Mal die vorderen zwei «wasserdichten» Taschen abladen und rüber tragen, da deren Böden seit Kurzem zerlöchert sind. Einige Male müssen wir das ganze Gepäck separat über den Fluss tragen, da dieser zu tief und die Strömung zu stark ist. Wir kommen nur langsam und mühsam voran in diesen Tagen. Trotzdem finden wir es toll. Endlich sind wir mitten drin im Abenteuer, welches wir uns in Südostasien so herbeigesehnt haben.
Am selben Nachmittag erwartet uns bereits die nächste Überraschung: während der Fahrt werden wir von einer Familie abgefangen. Als sie uns kommen sehen, springen sie auf das Motorrad und preschen wild winkend über die Wiese zur Strasse. Wir schliessen die sympathische Familie vom ersten Moment an ins Herz und nehmen ihre Einladung zum Übernachten gerne an. Gleich nach unserer Ankunft beginnen die Frauen mit dem Melken der Yaks. Einen Melkschemel benutzen sie nicht. So müssen sie mit ihren traditionellen, schön verzierten Mänteln auf dem von Dung übersäten Boden knien. Am Morgen und Abend ist es auch im Sommer kalt und es ist uns ein Rätsel, wie sie bei noch kälteren Temperaturen diese Arbeit zwei Mal täglich ohne Handschuhe verrichten können. Während ich mit den Frauen bei den Yaks weile und eingeladen werde, alles mögliche zu fotografieren, wird Marcel vom einem der Söhne zum Ringen aufgefordert.
Kaum sitzen wir im Ger zieht ein heftiges Gewitter ganz nah über uns hinweg. Was für ein Glück, dass wir nicht in unserem Zelt sitzen und draussen kochen müssen! Die Familie verwöhnt uns mit frischer Yakmilch und literweise Milchtee. Nie haben wir die Mongolen pures Wasser trinken sehen, immer nur Tee, Milch oder Härteres. Vodka wird uns aber auch hier bei der zweiten Einladung nicht angeboten, worüber wir nicht unglücklich sind. Zum Abendessen gibt es frische Nudelsuppe mit Yakfleisch und einem Schuss Ketchup. Da in der Mongolei die Wenigsten eine Kühlmöglichkeit besitzen, wird das Fleisch luftgetrocknet. Vor dem Kochen wird es mit einem gewöhnlichen Hammer platt geschlagen und in Stücke geschnitten. Ja, zart wäre anders. Manchmal bleibt einem nur, das ganze Stück runter zu schlucken, da sich der Knorpel nicht verbeissen lässt. Beklagen wollen wir uns aber nicht, wir hatten in Sachen Fleisch enormes Glück. Es hätte jedes Mal auch alter Hammel sein können. Dies nämlich war vor der Reise in die Mongolei meine einzige Sorge.
Am nächsten Morgen giesst es noch immer in Strömen. Unser Gastgeber Uugantulga nimmt ein Blatt Papier, zeichnet eine Wolke mit Regentropfen, schreibt das Wort «rain» darunter und streicht die Skizze durch. So können wir auf keinen Fall weiter, wir sollen nochmals bei ihnen schlafen und warten bis es wieder schön ist. Dabei deutet er auf die Sonne, die er gemalt hat. Wir wollen der Familie nicht zur Last fallen, sind aber sehr gerührt über diese ehrlich gemeinte Einladung und sind froh, bei diesem Hundewetter ein Dach über dem Kopf zu haben.
Baasanjargal, die Mutter der zweijährigen Chagtsalmaa, ist gerade mal 20 Jahre alt. Sie schuftet von Sonnenaufgang bis um 23 Uhr abends und gönnt sich kaum eine Pause: Teigwaren, Joghurt und Käse herstellen, Brot backen, Melken, Milch abkochen, Tee und Essen zubereiten sowie all die Besucher bewirten, die immer wieder unangemeldet reinschneien. Teilweise ist das geräumige Ger mit Gästen gefüllt. Die bedingungslose Gastfreundschaft ist tief in der Tradition der Mongolen verwurzelt. Dies ermöglichte es Reisenden schon früher, weite Strecken zurückzulegen, ohne jemals Hunger zu leiden oder in der Kälte draussen schlafen zu müssen. Dabei wird nicht angeklopft, nein, man platzt einfach rein. Privatsphäre existiert schlicht überhaupt nicht.
Tags darauf zeigt sich endlich wieder die Sonne und wir machen uns bereit für die Abreise. Baasanjargal stellt extra Käse für uns her und packt zusätzlichen Proviant ein. Bei den Eltern im Ger nebenan werden wir mit einem zweiten Frühstück verwöhnt: die Mutter Munkhjargal dünstet Mehl mit viel Butter und Rosinen in einer grossen Pfanne auf offenem Feuer. Absolut köstlich und ein fantastischer Energiespender. Der Rest wird in eine Tüte gepackt – ebenfalls für unterwegs. Die Grossmutter, die wir an diesem Morgen zum ersten Mal sehen, drückt uns je 1’000 Tugrik – umgerechnet 50 Rappen – in die Hand. Wir sollen uns davon etwas zu essen und zu trinken kaufen. Tief berührt machen wir uns an das Beladen des Pinos, was sich niemand entgehen lassen will. Nur das Schlitzohr Chagtsalmaa nützt die Situation aus und macht sich hinter das hausgemachte Joghurt. Als ich nochmals in das Ger gehe, um zu sehen, ob wir nichts vergessen haben, grinst sie mir frech zu - die Hände stecken tief in der Schüssel und ihr Gesicht ist weiss verschmiert.
Zum Abschied drückt uns die 11-jährige Tsevelmaa eine Notiz in die Hände. Darauf steht in Mongolisch geschrieben: «Das nächste Mal wenn ihr hier seid müsst ihr drei bis fünf Nächte bleiben. Ich habe die Zeit mit euch genossen. Leider spreche ich eure Sprache nicht. Wenn ich eure Sprache spräche, könnten wir noch viel mehr miteinander reden.»
Die liebenswürdige Familie ist uns in kürzester Zeit ans Herz gewachsen und der Abschied fällt uns schwer. Es erfüllt uns mit Glück, dass wir in der Mongolei eine solche Gastfreundschaft erfahren durften. Nie hätten wir dies in solchem Ausmass erwartet, da wir im Vorfeld einige negative Geschichten über Vodka-Eskapaden und der daraus resultierenden Aggressivität gehört haben. Wie schön, dass wir das Land in einem ganz anderen Licht erlebt haben.
0 KommentareEin Knall reisst mich von der Holzpritsche in die Vertikale. Voller Entsetzen schaue ich mich um. Das Tipi steht noch. Nichts brennt, nur das Feuer lodert im Ofen. Unser Feuerzeug liegt zerfetzt am Boden. Es war offensichtlich nicht sehr clever von mir, es auf dem (inzwischen heissen) Ofenrohr liegen zu lassen. Als Marcel zurück kommt erzählt er mir, die Nomaden hätten wohl gerade ein Tier geschossen.
Nun ja, so abwegig ist das nicht. Die Tsaaten beziehen fast alles Lebensnotwendige von den Rentieren und aus der Natur: Milch wird zu Käse, Haut zu Kleidung und Geweihe zu Werkzeugen und Souvenirs verarbeitet. Nebst der Wildjagd gehört auch das Sammeln von Beeren und Nüssen zu ihren Tätigkeiten. 5 bis 10 Mal pro Jahr packen sie ihr gesamtes Hab und Gut auf die Rentiere und ziehen da hin, wo es für ihre Tiere wieder genug zu Fressen gibt.
Noch ungefähr 45 Familien pflegen im Norden der Mongolei, Nahe der Grenze zu Sibirien, diesen traditionellen Lebensstil. Um sie zu besuchen waren wir vier Tage lang zwischen vier und sieben Stunden auf dem Pferderücken durch die Taiga unterwegs. Ich kann mir absolut nicht erklären, wie ich mir so was früher freiwillig über Jahre antun konnte. Und dann noch mit Leidenschaft! Wobei, Leiden schafft es auch in diesen Tagen. Kein Ausritt in der Schweiz war annähernd so herausfordernd wie dieser hier: dichte Wälder, steile Berghänge, Hochgebirgspässe, Sumpf und Moorlandschaften, Flussüberquerungen, loses Geröll und Schneefelder, in denen unsere Pferde bis zum Bauch einsinken. Nicht nur die Gegend sondern auch das Wetter ist rau, und so erleben wir vier Jahreszeiten an einem Tag, inklusive Schneesturm und Hagel. Als wir am Abend jeweils unser Ziel erreichen, kann ich vor lauter Schmerzen im Kreuz und in den Knien die ersten paar Minuten kaum mehr gehen. Und bevor das Gefühl in den Beinen wieder halbwegs hergestellt ist, sitzen wir bereits im Tipi am Boden und müssen unsere Beine wieder zusammenfalten. So verlangt es die Etikette.
Die Strapazen lohnen sich aber auf jeden Fall. Die Gegend ist traumhaft schön und wir werden überall herzlich empfangen. Wir sind tief beeindruckt von der Lebensweise der Nomaden. Faszinierend, wie sie in dieser wilden Gegend fast selbstversorgend überleben können und wie sie im Winter die sibirische Kälte in den einfachen Tipis überstehen. Ein Camp besteht aus bis zu 13 Familien. Diese teilen sich tägliche oder saisonale Arbeiten und sind stark aufeinander angewiesen. Moderne Hilfsmittel wie solarbetriebene Satelitenschüsseln und Funksprechgeräte ermöglichen es ihnen, mit Schulen und Spitälern in Kontakt zu bleiben, ohne dabei ihr Nomadentum aufgeben zu müssen. Die Kinder geniessen gerade drei Monate Sommerferien. Sie sprühen richtig vor Lebensfreude und toben sich auf dem Abenteuerspielplatz der Taiga aus.
Der Tourismus stellt eine Chance und gleichzeitig eine Gefahr für ihre Tradition dar. Es ist der Wunsch der Tsaaten, über diesen Wirtschaftszweig ein Einkommen zu erzielen. Früher konnten die Nomaden nicht von den Besuchern profitieren, da diese selbstversorgend unterwegs waren – dies obwohl die Tsaaten der Hauptgrund für eine Reise in die Region waren. Seit 2008 sollten alle Besuche in die Taiga über das Tsaatan Community and Visitor Center (TCVC) koordiniert werden. So wird sicher gestellt, dass die Gewinne der Gemeinschaft zu Gute kommen.
Trotzdem versuchen ein paar einzelne Familien, sich ausserhalb dieses Netzwerks ein Stück vom Tourismuskuchen abzuschneiden. Sie geben ihr traditionelles Leben auf und ziehen zum tiefer gelegenen Khövsgöl Nuur – dorthin, wo es im Sommer von Touristen wimmelt. Mit Souvenirverkauf, schamanistischen Ritualen und den fotogenen Tieren lässt sich eine Menge Geld verdienen. Dadurch nehmen sie in Kauf, dass ihre wichtigste Ressource – die Rentiere – erkranken oder sogar sterben. Denn die für die Tiere überlebenswichtigen Futterpflanzen wachsen nur in ihrem endemischen Lebensraum: in der Taiga. Wir sind froh, dass wir die Nomaden und ihre Tiere in ihrem natürlichen Umfeld erlebt haben. Auch wenn wir dafür ein paar Stunden auf die Zähne beissen mussten.
0 KommentareNach dem Besuch bei den Rentiernomaden wollen wir über den Jiglegiin Davaa zum Khövsgöl Nuur fahren. Von anderen Radfahrern wissen wir, dass die Strecke zwar einige Schlammpassagen beinhaltet, aber trotzdem machbar ist. Wir verfügen über einen genauen Routenbeschrieb und die Strasse ist auch auf einer Karte eingezeichnet. Wir wissen also, dass es anstrengend wird. Doch wie sehr?
Erst später erfahren wir, dass es in dieser Gegend kurz davor während Tagen heftig geregnet hat. Nicht gerade förderlich für den Zustand der Strassen! Schon kurz nach Renchinlkhumbe geht es los. Die Piste verliert sich im Wald und es wird immer sumpfiger. An Fahren ist nicht zu denken. Viel mehr geniessen wir ein knietiefes Schlammbad. Aber hey, wir wollen uns nicht beklagen - viele Leute bezahlen ein Vermögen für so was! Nach einigen Kilometern Schieberei wird es wieder besser. Doch nun werden wir von einem Schwarm Bremsen umzingelt. Unsere verschwitzten und verschlammten Beine sind ein Festessen für die lästigen Viecher und wir erhalten eine ungewollte Akupunktur. Zur Abkühlung der Stiche folgt nun eine Passage, auf welcher wir unzählige Male denselben eiskalten Fluss durchqueren müssen. Das Wellnesspaket beinhaltet also auch eine Kneippkur. Die Steine, die dabei in unseren Sandalen stecken bleiben, verhelfen uns zu einer schmerzhaften Fussreflexzonenmassage. Am Abend folgt dann die wohlverdiente Dusche. Allerdings nicht in einem warmen Fluss, sondern in Form eines heftigen Regengusses von oben. Die Massage, welche uns nach so einem Tag eigentlich zustehen würde, entfällt. Wir sind schlicht zu müde und schlafen sofort ein.
Am nächsten Morgen geht es gleich wieder heftig los. Es steht Krafttraining in Kombination mit Schlammpackung auf dem Programm. Die letzten zwei Kilometer hoch zum Pass führt die Strasse nochmals durch knietiefen Schlamm. Wir benötigen all unsere Kraft, um unser schweres Rad da hoch zu schieben. Oben angekommen ist die Freude riesig, es bis hierhin geschafft zu haben. Doch an ein gemütliches Runterrollen ist nicht zu denken. Nach weiteren zwei Kilometern durch den Schlamm geht die Strasse in eine üble Schotterpiste über, weshalb wir auch hier meist schieben. Als wir gegen Abend endlich den Khövsgöl Nuur erreichen, freuen wir uns schon auf ein gemütliches Ausrollen dem See entlang. Doch zum Abschluss des Tages wird uns noch Hochprozentiges serviert. Ein Hügel mit 25 Steigungsprozenten zwingt uns in die Knie. Hier kriegen wir das Pino nicht mal schiebend hoch. So wird alles abgeladen und die Sachen einzeln den Hügel hoch getragen. Total kaputt aber glücklich stellen wir an einem traumhaften Platz am See unser Zelt auf. Hier stelle ich dann fest, dass unser Wellnessurlaub auch noch ein paar Wandertage beinhalten wird. Unser Rahmen ist zum zweiten Mal auf dieser Reise gebrochen und an ein Weiterfahren ist nicht zu denken. Die nächste Ortschaft liegt ca. 70 Kilometer entfernt, sprich 3 Tage Schieben warten auf uns. Frustriert schlafen wir ein.
Tags darauf machen wir uns nicht gerade motiviert auf zu unserer Wanderung. Doch nach genau 5.55 Kilometern kommt Hilfe. Drei Mongolen haben eine Panne an ihrem russischen Minivan und versuchen, diesen zu reparieren. Sie fragen uns, wieso wir denn nicht fahren. Als wir ihnen den gebrochenen Rahmen zeigen, machen sie sich sofort daran, diesen zu reparieren. Wir versuchen ihnen klar zu machen, dass sie dies doch lassen sollen. Wir sehen keine Chance, dass sie dies so stabilisieren können, um damit wieder fahren zu können. Doch sie lassen sich nicht abhalten. Mit einer gewöhnlichen Axt spitzen sie ein Holzscheit so zu, dass es genau unter die gebrochene Stelle passt und als eine Art Schiene dient. Das Ganze wird dann mit Draht und Spanngurten so fixiert, dass sich die Bruchstelle keinen Millimeter bewegt. Ungläubig schauen Alena und ich uns an. Dies könnte funktionieren! Wir wagen es und werfen immer wieder einen kontrollierenden Blick auf die Bruchstelle. Sie hält. Unsere Retter in der Not überholen uns ein paar Stunden später freudig winkend. Auch bei uns ist die Freude gross: wir können so nicht nur in das 70 Kilometer entfernte Khatgal, sondern noch 100 Kilometer weiter bis nach Mörön fahren. Dort lassen wir den Rahmen schweissen und feiern die abenteuerlichsten drei Wochen der bisherigen Reise mit einem feinen Abendessen und einer Flasche Wein - wie es sich für einen anständigen Wellnessurlaub gehört.
0 KommentareIch bin ziemlich überrascht, als Alena eines Tages plötzlich wieder das Thema Afrika anspricht. Wir hatten uns in China eigentlich entschieden, unsere Reise nach der Mongolei in Russland fortzusetzen und danach über Skandinavien zurück in die Schweiz zu fahren. Dies hatten wir bereits unseren Eltern mitgeteilt, welche sich schon auf unsere Rückkehr gegen Ende Jahr freuten. Und nun dies. Im ersten Moment bin ich ziemlich überfordert und schweige mich zu dem Thema aus. Aber der Gedanke, dass die Reise im Dezember „schon” zu Ende sein soll, kommt mir doch komisch vor und das Radeln durch Afrika würde auch mich reizen. Heimlich checke ich die Flugverbindungen und stelle mit Erstaunen fest, dass diese recht günstig sind. Und so begeistere auch ich mich dafür, unser Abenteuer auf einem anderen Kontinent fortzusetzen.
Zum Glück haben wir eine Zeit lang keine Möglichkeit, den Flug zu buchen. Denn wieder kommt es anders als geplant: eines Abend entdecke ich an unserer Rohloff-Nabenschaltung erneut einen Flanschbruch. Wir sind völlig vor den Kopf gestossen. In Bangkok und in Peking hatten wir extra noch einen Rohloff Importeur aufgesucht, um die Speichenspannung und alles zu überprüfen. Und jetzt so was, nur 700 Kilometer später. Sofort ist uns klar, dass dies alles auf den Kopf stellen wird. Denn weder in der Mongolei noch in Afrika oder Russland können wir das Gehäuse der Nabe auswechseln. Noch am gleichen Abend fassen wir den Entschluss: wir fliegen nach Hause. Da der Bruder von Alena Mitte Juli heiratet, lässt sich dies gut mit einer Überraschung während der Hochzeitsfeier verbinden.
Ein Monat später sind wir also statt auf dem Weg nach Russland wieder zurück in Ulan Bator, wo wir nach dem jährlichen Naadam Festival in den Flieger steigen werden. Trotz der vielen gröberen Pannen haben wir es geschafft, die gesamte Strecke in der Mongolei fahrend oder schiebend hinter uns zu bringen. Darüber sind wir sehr glücklich! Die Mongolei war in vieler Hinsicht so, wie wir uns das erträumt hatten. Vieles hat uns aber auch enorm überrascht. Nie hätten wir zum Beispiel eine solche Auswahl an Lebensmitteln erwartet. Als wir uns mit der Mongolei befassten, lasen wir immer wieder von den schlechten Versorgungsmöglichkeiten. Uns prägte sich ein Bild von leergeräumten Läden ein. Deshalb besuchten wir in Peking extra noch den Friendship Store, einen Laden mit zahlreichen importierten Produkten, und schlugen dort kräftig zu. Dies hätten wir uns definitiv sparen können, denn die Auswahl hier in der Mongolei übertraf die Auswahl in Peking bei Weitem. Auf unserer ganzen Reise durch die Mongolei fanden wir in jedem noch so kleine Kaff irgend etwas, womit wir wieder für ein paar Tage über die Runde kamen. Erstaunt waren wir über die zahlreichen aus Deutschland importierten Produkte. Die “Gut und Günstig” Linie von Edeka war hier gross im Angebot. So genossen wir beinahe täglich leckere Pommes Chips und im Porridge zum Frühstück gab es jeweils Studentenfutter. Die grösste Überraschung war aber, als wir am ersten Tag in Ulan Bator den State Departement Store betraten. Wir trauten unseren Augen nicht: In der Bäckerei entdeckten wir einen Butterzopf und eine Bündner Nusstorte. Wir flippten beinahe aus und die Verkäuferin hinter der Thecke schaute uns nur entgeistert an. Sie fragte sich wohl was mit uns beiden genau falsch läuft. Wir auf jeden Fall fühlten uns im Paradies.
Ebenalls paradiesisch war für uns die Gastfreundschaft im Norden der Mongolei. Das war schlicht überwältigend. Kaum hatten wir uns jeweils irgendwo niedergelassen, stand auch schon bald ein Mongole bei uns. Oft kriegten wir Joghurt, Milch, Käse, Fleisch oder Brot geschenkt. Einmal rannte ein Mädchen sogar um einen halben See, um uns ein Glas mit Joghurt zu überreichen. Einfach unvergesslich.
Mit diesen schönen Eindrücken schliessen wir das Kapitel Asien ab und freuen uns auf eine ganz neue Welt.
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