Geduld, Geduld
Wir erleben momentan so viel, dass wir noch keine Zeit hatten, unseren Blog zu aktualisieren. Wir holen dies so schnell wie möglich nach!
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Es ist kurz vor 8 Uhr, als ein Tandemduo auf die iranische Grenze zurollt. Wir freuen uns riesig, gmeinsam mit den beiden Australiern Kat und Alex durch Turkmenistan zu reisen. Das hätten wir uns nicht träumen lassen, dass zwei Radreisende genau die gleichen 5 Tage wie wir für die Durchreise gewählt haben. Vor allem weil wir im Iran mit einer Ausnahme keine weiteren Radreisende gesehen haben.Die Ausreise verläuft fast ohne Zwischenfälle. Ein Zollbeamter meint, er müsse Kat auf den letzten Metern noch zurechtweisen, weil ihr Oberteil den Po nur halb verdeckt. Die langen Kleider hat sie beim Hilfswerk Roter Halbmond gelassen. Ein Iraner, der ebenfalls ansteht und sich über sein Verhalten empört, zeigt ihm unbemerkt den Vogel. Nach 1 Stunde Warterei sind wir durch.
Auf der turkmenischen Seite müssen wir als erstes dem Arzt im weissen Kittel einen Besuch abstatten. Der macht jedoch nichts anderes, als Daten aus dem Pass von Hand in ein dickes Buch zu übertragen. Er fragt uns nicht mal, ob wir gesund seien. Als er sieht, dass wir Schweizer sind, meint er strahlend “Roger Federer!”. Das Eis ist gebrochen. “Australia… hmm… penguin? Oh, no… kanguruh!”. Auch im anderen Raum scheint anfangs alles gut voran zu gehen. Marcel punktet mit ein paar Russischwörtern, die Pässe werden hin und her geschoben. Das Spiel wiederholt sich ein paar Mal und wir beginnen zu zweifeln, ob wir hier tatsächlich bald durch sind. Nach einer Weile kommt ein weiterer Polizist in Zivilkleidung dazu und fragt, wie lange wir schon warten. Schon zwei Stunden? Wir wundern uns auch. Er fragt nach und meint, es müsse noch ein Telefonanruf aus Ashgabat abgewartet werden. Es vergehen weitere Stunden. Immerhin haben wir beste Unterhaltung: ein Laster fällt mit dem linken Vorderrad in die Inspektionssgrube und versucht während 2 Stunden, sich aus der misslichen Lage zu befreien. Inzwischen geniessen die Beamtem ihre Mittagspause, wir müssen uns weiter gedulden. Wir haben weder ein Picknick dabei noch dürfen wir auf dem Zollgelände unsere Benzinkocher benutzen. Alles was uns bleibt sind ein paar Kerne, Nüsse, Trockenobst und je 2 Kekse. Umso schöner ist die Überraschung, als uns der Polizist eine Tüte voller vegetarische Samsas hinstreckt - leckere Teigtaschen gefüllt mit Kartoffeln. Nach 5.5 Stunden müssen wir das gesamte Gepäck abladen und durch den Scanner schicken, danach wird jede einzelne Tasche durchwühlt. Ob wir Pistolen dabei hätten? Natürlich nicht. Unsere Pfeffersprays bleiben zum Glück unentdeckt. Nach 6 Stunden dürfen wir unsere Räder endlich wieder beladen.
Nachdem uns an der Grenze fast ein voller Tag geklaut wurde, bleiben uns noch gut 4 Tage, um unser erstes Stan-Land zu durchqueren. Längere Visa sind nur möglich, wenn man gewillt ist, für viel Geld mit einem Aufpasser zu reisen. Kein Wunder verschlägt es pro Jahr nur rund 8000 Touristen hierher, die Hälfte davon aus benachbarten Ländern. Turkmenistan ist eines der abgeschottensten Länder der Welt. Von 1991 bis 2006 wurde es von Saparmyrat Nyýazow diktatorisch geführt, bis dieser mit 66 Jahren an einem Herzinfarkt starb. Sein Personenkult ging so weit, dass er eine Menge goldener Statuen von sich und seinen Eltern errichten liess, sein Buch Ruhnama zur offiziellen Pflichtlektüre jedes Turkmenen erklärte und er sich “Turkmenbashi”, Führer der Turkmenen, nannte. Sein Slogan “Halk, Watan, Turkmenbaşi” - “Volk, Nation, Führer” - ruft Erinnerungen an einen anderen Grössenwahnsinnigen wach. Das Land besitzt enorme Erdgas- und Erdölreserven. Aber auch unter der neuen Regierung fliesst der Gewinn nicht dorthin, wo er dringend benötigt würde: in die Infrastruktur und das Bildungswesen.
Wir wissen, dass es in dieser kurzen Zeit schwierig sein wird, die 480 Kilometer per Rad zu bewältigen. Turkmenistan ist das heisseste Land Zentralasiens und besteht nahezu aus 95 Prozent Wüste. Ausserdem bläst meist ein starker Wind, welcher immer aus der gleichen Richtung kommt. Für uns leider genau aus der falschen. Es hängt allein von der Stärke des Windes ab, ob wir es schaffen werden.
Als wir endlich unsere ersten Meter auf zentralasiatischem Boden fahren dürfen, ist es Mitten am Nachmittag und 45 Grad heiss. Der Wind bläst uns kräftig entgegen. Wir fahren bis ins nächste Dorf, kaufen etwas zu essen und warten, bis die Hitze etwas nachlässt. Wir freuen uns, wieder einen Dorfladen anzutreffen. Im Iran haben wir so etwas nicht gefunden, es gab nur eine Art Kiosk, welcher von unten bis oben mit Artikeln vollgestopft war. Abends um 18 Uhr schwingen wir uns aufs Rad und legen los. Der Wind lässt immer mehr nach, bis es praktisch windstill wird. Windstill! Das wollen wir ausnutzen und fahren weit in die Dunkelheit rein, um einen Teil der verlorenen Stunden wieder aufzuholen. Die Hoffnung steigt, dass wir es doch noch schaffen könnten. Trotz miserabler Strassen wird es eine wunderschöne Sonnenuntergangsfahrt in menschenleerer Gegend. Es macht grosse Freude, wieder in Gesellschaft zu radeln. Gegen 22 Uhr schlagen wir unsere Zelte auf einem Acker auf und kochen inmitten agressiver Mückenschwärme ein schnelles Abendessen. Das erste Bier nach über einem Monat muss noch etwas auf sich warten lassen.
Nach dem Frust am Zoll kommt am nächsten Tag der nächste Dämpfer: Kats Knie macht nicht mehr mit. Nach mehreren Pausen ist klar, dass sie so nicht mehr weiterfahren kann. Wir überlegen hin und her, ob wir mit ihnen eine Nacht im Hotel in Hauz-Han bleiben und am nächsten Tag per Anhalter nach Turkmenabat fahren sollen, oder ob wir die restliche Strecke alleine in Angriff nehmen. Die Herausforderung reizt uns zu sehr und wir wollen es trotz erneutem Zeitverlust versuchen. Die Aussicht, dass wir unsere liebgewonnenen Reisebegleiter in Bukhara wiedersehen werden, erleichtert uns die Entscheidung.
0 KommentareNoch nie haben wir eine Grenze als so extrem erlebt. Wir können zum Teil kaum glauben was wir sehen, so unterschiedlich ist es vom Iran. Da fährt man ein paar Meter über eine auf dem Reissbrett gezogene Linie und befindet sich in einer komplett anderen Welt. Einen fliessenden Übergang gibt es nicht. Hatten die Iraner äusserlich noch gewisse Ähnlichkeiten mit den Türken, treffen wir plötzlich auf Gesichter mit asiatischen Zügen. An den wunderschönen Turkmeninnen können wir uns kaum satt sehen. Sie tragen buntgemusterte Stoffe und häufig kein Kopftuch. Kurze Röcke, figurbetonte Kleider und grosszügige Ausschnitte sind keine Seltenheit. Was für ein Kontrast zum Iran, wo sich die Frauen laut Gesetz in der Öffentlichkeit verhüllen müssen.
Die Gesichtszüge sind nicht das Einzige, was für uns typisch asiatisch ist. Der Tee ist grün statt schwarz, die Zähne golden statt weiss. Wir treffen auf alle möglichen Varianten: ein einzelner Zahn, das mittlere Drittel des Oberkiefers, der gesamte obere Bereich und - die Luxusvariante - das gesamte Gebiss. Wird man hier von einer Reihe glänzender Beisser geblendet, waren es im Iran die weissen Pflaster auf der Nase. Iranerinnen investieren ihr Erspartes lieber in das Abspitzen von Gesichtsknochen. Vielleicht könnte man diese Überreste verwerten um damit die Löcher in den turkmenischen Strassen zu füllen. Der Belag gleicht oftmals einem Giraffenmuster und für Marcel besteht die grösste Herausforderung darin, eine Linie mit verbundenen Teerstücken zu finden. Die Furchen in Fahrtrichtung sind teilweise so tief, dass wir mit den Vorderradtaschen anstossen. Vorbei sind die Schussfahrten auf feinstem, iranischem Asphalt. Die Reifen surren längst nicht mehr.
Zum ersten Mal auf dieser Reise kommen wir an Orten vorbei, an denen es kein fliessend Wasser gibt. Frauen holen es mühsam an Pumpstationen oder lassen den Kessel mitten im Restaurant ein Loch runter. Es wird uns bewusst, wie weit wir bereits gereist sind. Auch die Klos sind hier ganz anders als in den vorherigen Ländern. Ein Holzhäusschen mit oder ohne Tür, ein Loch in der Erde und links und rechts davon zwei längliche Holzblöcke für die Füsse. Einmal haben wir eine besonders schöne Variante gesehen: die Öffnung war mit dicken Gitterstäben gesichert. Das ist bestimmt sinnvoll, damit kein Kleinkind in die Gülle fallen kann. Aber auch andere Materien bleiben im freien Fall haften, was den Nachfolger gewollt oder nicht über die aktuelle Befindlichkeit des Magendarmtraktes informiert.
Das Einzige was uns im neuen Land vertraut bleibt ist die Herzlichkeit und die Gastfreundschaft der Menschen. Mit dem Unterschied, dass die Turkmenen einiges zurückhaltender sind als die Iraner. Zum Glück - sonst wäre es von Anfang an illusorisch, die Strecke in 5 Tagen per Rad zu schaffen.
0 KommentareNachdem wir uns von Kat und Alex verabschiedet haben, fahren wir auf der Hauptverkehrsachse zwischen dem Iran und Usbekistan Richtung Mary. Aber was hier in Turkmenistan eine Hauptstrasse ist, würde in der Schweiz nicht mal als Feldweg durchgehen. Die Strasse ist von Schlaglöchern übersät und die Suche nach einer fahrrad- und körperschonenden Linie gestaltet sich äusserst schwierig. Kurz vor Mary kommt die Erlösung in Form einer neuen Strasse, welche für den Verkehr noch nicht freigegeben ist. Wir schleichen uns mit dem Pino auf den frischen Teer und geniessen die perfekten Verhältnisse. Dank der neuen Strasse kommen wir gut vorwärts und erreichen Mary noch am selben Abend.
Am nächsten Tag passieren wir kurz nach Mary die Geisterstadt Merv, welche früher eine der grossen Städte der Islamischen Welt war. Traurige Bekanntheit erlangte Merv im Jahr 1221, als Tolui, ein Sohn von Chinggis Khan, die Stadt einnahm und alle Bewohner ermorden lies. Laut Lonely Planet verloren bei diesem Blutbad 300’000 Menschen ihr Leben. Man hört aber auch Zahlen von bis zu einer Million. Uns blieb leider keine Zeit, um diese Geisterstadt zu besichtigen.
Ein paar Kilometer nach Merv erblicken wir plötzlich die ersten wilden Dromedare und fühlen uns ein wenig in die Blütezeit der Seidenstrasse zurückversetzt. Bald aber werden wir durch den aufkommenden Wind wieder zurück in die Realität geholt. Das Vorwärtskommen gestaltet sich zusehends schwieriger, da der Wind in den nächsten zwei Tagen immer mehr zulegt. Wir kommen viel langsamer vorwärts als geplant. Zeitweise kriechen wir noch mit 10 Stundenkilometer durch die Gegend, und dies auf einer absolut flachen Strasse. Zudem bereitet mir vor allem der Wüstensand in der Luft Probleme, da er unter meine Kontaktlinsen gerät und sich dadurch meine Augen entzünden. Ausserdem wird mir durch die Anstrengung in der Hitze übel, so dass wir immer wieder mal Pause machen müssen.
Als der Wind am Nachmittag des vierten Tages nochmals an Kraft zulegt ist uns klar, dass das Abenteuer Wüstenfahrt per Pino nach 380 Kilometern leider vorbei ist und wir die verbleibenden 60km nach Turkmenabat per Lastwagen zurücklegen müssen. Wir haben Glück und schon beim 3. Lastwagen, der anhält, klappt es. Beihram und Azat erklären uns, dass ihr Lastwagen mit Zigaretten für Afghanistan gefüllt ist und deshalb versiegelt sei. Aber in ca. 5 Minuten komme noch ein zweiter Wagen, in welchem wir das Pino verstauen können. Perfekt. Wir laden das Rad schon mal ab und als der zweite Lastwagen eintrifft geht alles ganz schnell. Der Lastwagen hat eine Menge Minaralwasserflaschen geladen. Unser Pino wird darauf verstaut und reist nun bequem auf einem Wasserbett durch Turkmenistan.
Alena und ich nehmen im Lastwagen von Beihram und Azat Platz. Wobei Platz nehmen wohl das falsch Wort ist. Alena liegt wie ein Klappmesser schräg hinter dem Fahrer, während ich mich wie eine Banane auf dem Vordersitz ohne Lehne krümme, damit ich mit dem Kopf nicht an der Decke anstosse. Alena kramt wie wild in unserem Medikamentenbeutel und sucht unsere Reisekrankheitstabletten. Bis sie diese endlich gefunden hat ist uns beiden schon beinahe übel. Währenddessen haben die beiden Fahrer eine Riesengaudi und freuen sich, dass sie zwei Mitfahrer haben. Der Lastwagen mit dem Pino fährt vor uns her und dies aus gutem Grunde. In Turkmenistan dürfen eigentlich nur 3 Personen in einem Lastwagen sitzen. Da es ab und zu Polizeikontrollen gibt, übernimmt der erste Lastwagen die Aufgabe, die Polizei mit etwas Schmiergeld von uns abzulenken. So passieren wir die Kontrollen problemlos.
Nach kurzer Fahrzeit lädt uns Beihram zu sich nach Hause zum übernachten ein. Wir sind gerührt von dieser Einladung, müssen sie aber auf Grund des ablaufenden Transitvisums ablehnen, da sein zu Hause ca. 35 Kilometer ausserhalb von Turkmenabat liegt und die Strecke zur Grenze am nächsten Tag für uns zu weit würde. Doch Beihram insistiert und erklärt, dass er uns am nächsten Morgen früh zur Grenze fahren werden. Da können wir nicht mehr ablehnen und nehmen die Einladung dankend an. Nie hätten wir geglaubt, dass wir in dieser kurzen Zeit Einblick in das Familienleben der Turkmenen erhalten werden. Für einmal dürfen wir diese Erfahrung machen gerade weil wir nicht mehr mit dem Rad fahren können.
In Turkemabat kommt dann Hektik auf. Aus Angst vor einem Diebstahl entschliessen sich die beiden Fahrer, den Lastwagen mit der Zigarettenladung auf einem abgesicherten Parkplatz zu lassen. Deshalb organisieren sie für uns einen Kleinbus, welcher uns anschliessend zu ihnen nach Hause fährt. Nach einigem Umbeigen ist alles mehr oder weniger sicher in dem Kleinbus verstaut und auch wir haben noch irgendwie Platz. Doch beim abgesicherten Parkplatz gibt es Probleme. Dieser ist bereits geschlossen. Der Besitzer hat gar keine Freude, dass noch ein Lastwagen auftaucht und öffnet das Tor nur wiederwillig. Zu allem Überfluss fährt Beihram anschliessend mit dem Lastwagen in das Tor und reisst ein Stück davon heraus. Eine wilder Streit zwischen Beihram und dem Besitzer entfacht. Der Kleinbusfahrer gibt uns zu verstehen, dass wir besser im Auto bleiben sollen und wir kriegen nicht genau mit, was da draussen passiert. Für uns ist es eine sehr unangenehme Situation. Wir fühlen uns schuldig, da die beiden ohne ihre Hilfsbereitschaft uns gegenüber gar nie in diese Situation geraten wären. Nach rund 10 Minuten beruhigt sich die Situation und wir fahren nach Sayat, wo wir von Beihrams Familie herzlich empfangen werden.
Da wir nach 4 Tagen Wüstenfahrt wohl ziemlich übel stinken, wird uns als erstes die Dusche gezeigt. Der Duschraum befindet sich in einem Raum, welcher komplett aus Lehm besteht. Darin ist ein Holzofen platziert, auf welchem das Wasser aufgeheizt wird. Durch den Holzofen fühlt sich der ganze Raum an wie eine Sauna. Zusätzlich gibt es zwei grosse Zuber. Der eine ist mit dem heissen und der andere mit kaltem Wasser gefüllt. Mit einem Gefäss mischt man das Wasser und giesst es sich danach über den Körper. Einfach herrlich. Frisch geduscht geniessen wir das Abendessen auf dem für Zentralasien typischen Holzgestell im Freien, welches mit Teppichen und einem Plastiktischtuch ausgelegt ist. Zusätzlich gab es für mich ein Bier und Vodka. Nach dem Abendessen zeigten Beihram und … mir noch kurz die Stadt. Hier wurde mir klar, dass der Entscheid zum Abbruch definitiv richtig war. Nach wie vor stürmt es wie wild.
Am nächsten Morgen gibt es noch Tee und Frühstück, bevor uns der Fahrer des Kleinbusses bis nach Farap an die Grenze zu Usbekistan bringen wird. Ich will den Fahrer bezahlen, doch Beihram lässt mir keine Chance. Er macht mir ziemlich unmissverständlich klar, dass er dies übernehme und ich ja nicht auf die Idee kommen solle, ihm etwas zu geben. Einfach unglaublich diese Gastfreundschaft. Zum Abschied tauschen wir noch Fotos aus und machen uns um eine herzliche Erfahrung reicher auf den Weg nach Usbekistan.
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